: Deutsche Einheit kippt Atomvertrag
Bundesregierung will endlich den Atom-Vertrag mit Brasilien verändern/ Nicht das von Brasilien selbst eingestandene Atomwaffenprogramm, sondern die deutsche Einheit schaffte Handlungsbedarf ■ Aus Bonn Gerd Nowakowski
Die Bundesregierung will endlich das deutsch-brasilianische Atom- Abkommen verändern. Forschungsminister Riesenhuber (CDU) soll während eines viertägigen Besuchs der brasilianischen Regierung klarmachen, daß Bonn künftig Atomexporte grundsätzlich nur noch dann genehmigen will, wenn das Empfängerland „alles Kernmaterial“ der Internationalen Atomenergie-Behörde (IAEO) in Wien unterstellt. Diese erst jetzt bekanntgewordene neue Linie hat das Bundeskabinett bereits am 9. August beschlossen — freilich nicht, weil man endlich den Warnungen der Opposition vor dem brasilianischen Streben nach der Atombombe Glauben schenkte, sondern wegen der deutschen Einheit.
Um das internationale Mißtrauen gegen die deutsche Vereinigung abzubauen, erklärten sich die beiden deutschen Staaten Ende August zu diesem Verhalten gegenüber Staaten bereit, die nicht — wie Brasilien — den Atomwaffensperrvertrag unterzeichnet haben. Mit dem militärischen Atomwaffen-Programm in Brasilien hätte diese Entscheidung nach den Worten eines Außenamtssprechers „überhaupt nichts zu tun“.
Der Vertrag über eine atomare Kooperation, 1975 geschlossen, wurde erst im November 1989 gegen den Widerstand von SPD und Grünen um weitere fünf Jahre verlängert. Die Warnungen der Opposition vor einer militärischen Nutzung war von der Bundesregierung als „Unsinn“ zurückgewiesen worden. Geplatzt war diese Position, als Brasiliens Präsident Collar dies jüngst selbst vor der UN eingestand. Die Bundesregierung hat in der Vergangenheit eine Vielzahl von Indizien für ein militärische Atom-Programm in Brasilien ignoriert. Die bundesdeutschen Lieferungen und das Know-how hätten Brasilia den Aufbau eines geschlossenen Brennstoff- Kreislaufs ermöglicht, so die Opposition. Nach Feststellung der Grünen habe sich bestätigt, daß durch einen Dreieckshandel auch dem Irak das Know-how für ein eigenes Atomprogramm vermittelt wurde.
Ob der Vertrag vorzeitig gekündigt wird oder lediglich verändert, ist derzeit unklar. Aus dem Forschungsministerium hieß es dazu lediglich, der Vertrag solle „innerhalb von fünf Jahren... angepaßt werden“. Beim Außenministerium geht man davon aus, daß Brasilien nach der Offenlegung der Atombomben- Pläne zu Kontrollen durch das IAEO bereit ist. Das Ministerium verteidigte noch einmal die Vertragsverlängerung Ende 1989. Die Bundesregierung habe Brasilias Zusicherung für ausreichend angesehen, die Bonner Lieferungen würden „institutionell und personell“ nicht in das bekannte „autonome Programm“ einfließen. Seit 1988 sei schließlich das Ziel einer ausschließlich zivilen Nutzung der Atomenergie in der brasilianischen Verfassung verankert. Ein Sprecher des Forschungsministeriums verneinte, daß die Bundesregierung jemals Kenntnis über die Atomwaffen-Pläne hatte.
Die SPD forderte durch ihren abrüstungspolitischen Sprecher Hermann Scheer die Aufkündigung des deutsch-brasilianischen Atomvertrags, weil er unter „falschen Voraussetzungen“ verlängert wurde. Die Bundesregierung sollte als Minimalvorausetzung für die Weiterführung nun zumindest den Beitritt Brasiliens zum Atomwaffensperrvertrag verlangen. Für die Grünen erklärte Fraktionssprecher Willi Hoss, die geplante Vertragsänderung zu begrüßen falle schwer, weil zu viele offene Fragen blieben.
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