: Rostocker entscheidet über Bundesrat
Rostock (adn) — „Bitte lassen Sie mich in Ruhe, bis nächste Woche habe ich Sendepause!“ — Der Rostocker Arzt Dr. Wolfgang Schulz gibt am Dienstagmorgen jedem der 18 Journalisten, die ihn am Telefon bedrängen, dieselbe Auskunft. „Ich weiß im Moment selbst nicht, wo mir der Kopf steht. Die erste Morddrohung ist auch schon da, und bevor ich meine nächsten Schritte nicht genauestens überlegt habe, will ich der Öffentlichkeit keine Nahrung für weitere Spekulationen liefern,“ sagt der Gestreßte.
Der Mann nimmt in der Tat eine Schlüsselposition ein: Er entscheidet nicht nur über mögliche Stimmenmehrheiten im neuen Landtag von Mecklenburg-Vorpommern, er könnte zudem das Zünglein an der Waage sein, die sich im Bundesrat je nachdem zu Gunsten der CDU neigen wird oder nicht. Als SPD-Kandidat ist Dr. Schulz am Sonntag für das Landesparlament gewählt worden. CDU und FDP, die die kleine Koalition anstreben und die große mit der SPD möglichst vermeiden wollen, verfügen nach vorläufigem Wahl- Endergebnis über genau die Hälfte der 66 Landtagssitze. Die anderen 33 besetzen SPD- und PDS-Abgeordnete, die zwar ein Bündnis keineswegs eingehen wollen, in Sachfragen aber dennoch gleich votieren könnten. Inzwischen hat aber Dr. Schulz sein Parteibuch hingeworfen. Landeswahlleiter Dirk Schüler versichert nun, Schulz könnte auch als Parteiloser sein Mandat annehmen oder sich gar einer anderen Partei anschließen. Das Kräfteverhältnis im mecklenburg-vorpommerschen Landtag ist damit wieder völlig offen. Unklar ist demzufolge auch, welche drei Stimmen das nordöstliche Bundesland in den Bundesrat schickt.
Läßt man Mecklenburg-Vorpommern zunächst unberücksichtigt und berechnet man nur die Stimmen von Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Brandenburg im Bundesrat, steht es zunächst 33:32 für die SPD. Mindestens 35 Stimmen sind für eine Mehrheit notwendig, doch die SPD in Mecklenburg-Vorpommern hat es möglicherweise in der Hand, die 35. CDU-Stimme zu verhindern. Dr. Wolfgang Schulz hat viel zu bedenken.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen