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Vogelblicke

■ Nachlaß eines der großen Fotografen des „Neuen Sehens“ entdeckt / Arvid Gutschow in der FOBI-Galerie

hierhin bitte das

Foto von dem

alten Herrn, lächelnd

Arvid Gutschow

Zuerst fielen Hans-Jürgen Sieker, Fotograf in Lilienthal, die Bilder in die Hände: Fotos von Schiffsrümpfen und sich in den Himmel reckenden Stahlkonstruktionen im Hafenambiente, und Sieker dachte: „Du hättest das gleiche Bild gemacht.“ Die Aufnahmen stammten aber aus den Zwanziger Jahren, von einem damals hochgelobten, heute vergessenen Fotografen des „Neuen Sehens“, Arvid Gutschow. Im Katalog der Ausstellung „Film und Foto“ von 1929 in Stuttgart, die vom Deutschen Werkbund organisiert und international besetzt war, fand Sieker neben den Bildern Gutschows noch einen Hinweis: „Wohnt in Seebergen bei Bremen“.

Ein Blick ins Telefonbuch führte zu einer Reihe von Besuchen bei der Witwe Gutschows (der 1984 gestorben war), und es gelang Sieker, was Kunsthändlern bislang nicht vergönnt war: ihr Vertrauen zu gewinnen. Ca. 30.000 Negative fanden sich im Nachlaß Gutschows, nur sehr wenige Abzüge; dabei waren viele aufregend „moderne“, offenbar „endgültige“ Bildlösungen aus den Themenbereichen Landschaft und Technik. Der überwiegende Teil der Arbeiten stammt aus den Zwanziger und Fünfziger Jahren. Danach machte Gutschow Schluß mit dem Fotografieren.

Hans Jürgen Sieker sichtete den Nachlaß des großen Vorgängers und wählte 40 Fotos aus, um sie ab 20.Oktober in der Fotogalerie von „Foto Bischoff“ zu zeigen. Ein Bildband ist geplant, und dann soll die Sammlung an ein Museum gehen. Im Gespräch ist Sieker mit dem Folkwang-Museum Essen, dem Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg und dem Neuen Museum Weserburg in Bremen.

Die Biografie Arvid Gutschows ist ein komplexes Gebilde mit „ganzheitlicher“ Tendenz: Der studierte Jurist arbeitete bis zu seiner Früfpensionierung beim Hamburger Senat, zuletzt als Senatsdirektor. Früh kümmerte er sich um ökologische Fragen wie Kompostierung und Abwasserentsorgung. Zugleich fotografierte er professionell, für Zeitschriften und Firmen, und finanzierte eine Laborkraft.

Als Künstler verstand er sich nie, signierte auch nicht. 1953, pensioniert, bezog Gutschow ein Grundstück in Seebergen, wo er eine kleine Utopie vom Wohnen in der Natur realisierte mit Häusern aus Torf und teils im japanischen Stil. Dort trafen sich eine Zeit lang ökologisch und philosophisch Interessierte der anthroposophischen Fraktion.

Eine „glänzende Technik“ bescheinigt der Stuttgarter Katalog Gutschow, betont seine Methode der „Einengung, Komprimierung, Abstraktion“. Mitten in den sog. „heroischen Jahren der neuen Fotografie“ in Deutschland (um Moholy Nagy) praktizierte Gutschow „Neues Sehen“: Vogelperspektive, starkes Gewicht auf der Struktur der Objekte, Interesse am Schatten, an Lichteffekten (etwa als Reflexionen auf dem Wasser).

Sieht man sich heute seine Industrieaufnahmen, aber auch die auf Sylt entstandene Serie „See, Sand, Sonne“ an, meint man manchmal, sie schon zu kennen. Vermutlich meint man Nachfolger oder Epigonen. Gutschow war früher! Burkhard Straßmann

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