Bundeskanzler Helmut Kohl darf lügen

Anzeige wegen Falschaussage gegen Kohls Zeugenauftritt in U-Boot-Skandal zurückgewiesen Ein Freibrief für Lügen in Untersuchungsausschüssen des Deutschen Bundestags/ Grüne empört  ■ Aus Bonn Gerd Nowakowski

Die Staatsanwaltschaft Bonn hat die Einleitung eines Verfahrens gegen Bundeskanzler Helmut Kohl abgelehnt. Damit wurde die Anzeige der Grünen zurückgewiesen, die Kohl der falschen uneidlichen Aussage vor dem U-Boot-Untersuchungsausschuß des Bundestags bezichtigten.

Ungeachtet der Prüfung des Wahrheitsgehalts der Anzeige, so ein Sprecher der Staatsanwaltschaft, könne nämlich derjenige nicht belangt werden, der in einem parlamentarischen Untersuchungsverfahren selber Beschuldigter ist. Diese Voraussetzung sieht die Staatsanwaltschaft als gegeben an, weil der Untersuchungsauftrag auf die Verantwortung der Bundesregierung und des Kanzlers ziele und Kohl damit eine „beschuldigtenähnliche Stellung“ habe. Wenn der Kanzler vor den Abgeordneten die Unwahrheit sagt, sei das deswegen strafrechtlich irrelevant. Im Klartext: Kohl habe das Recht, als Zeuge zu lügen, wenn er damit der Gefahr entgeht, sich selbst zu belasten.

Die Grünen hatten vor vier Wochen nach Abschluß der Zeugenaussage des Kanzlers Anzeige erstattet, weil Kohl in insgesamt fünf Punkten die Unwahrheit über sein Wissen und seine Rolle beim illegalen Blaupausen-Export nach Südafrika gesagt habe. Die Staatsanwaltschaft, die auf diese Vorwürfe nicht eingeht, bezieht sich bei ihrer Ablehnung auf ein Urteil des Landgerichts Köln von 1987. Danach gelte der Grundsatz aus dem Strafrecht, daß ein Angeklagter jederzeit das Recht zur Lüge habe, auch für ein parlamentarisches Untersuchungsverfahren.

Hat die Position der Staatsanwaltschaft mit ihrem Freibrief zum Lügen Bestand, dann können sich die Parlamentarier künftig jeden Untersuchungsausschuß sparen. Schließlich ist deren Ziel ausschließlich, die politische Verantwortung der Bundesregierung zu untersuchen. Erklärungsbedürftig wird dann aber, warum die Staatsanwaltschaft Bonn gegen Kanzlerberater Teltschik ein zwischenzeitlich eingestelltes Verfahren wegen des Verdachts der Falschaussage einleitete.

Die Grünen, empört über die Ablehnung der Anzeige, sprechen von einer „offenkundigen Absurdität“. Die Entscheidung der Staatsanwaltschaft sei „juristisch unhaltbar“, weil Kohl vor dem Ausschuß ausdrücklich als Zeuge aufgetreten sei. Sie kündigten Beschwerde an. In einer zweiten Entscheidung lehnte es das Gericht außerdem ab, dem Ausschuß beschlagnahmte Firmenakten zur Verfügung zu stellen.

Stolpe und Momper: Da geht's lang! Foto: Hirsch