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Jugoslawien ist am EndeVerfassungsstreit putscht Emotionen hoch

■ Die für die Zukunft Jugoslawiens entscheidende Sitzung des Bundesparlaments hat gestern begonnen. Es geht um die Frage, ob eine Konföderation die auseinanderdriftenden Republiken noch zusammenhalten kann. Volksabstimmung oder Militärputsch?

Als gestern das jugoslawische Parlament zu seiner Sitzung zusammentrat, stand schlicht und einfach die Zukunft des Landes auf dem Spiel. Die politischen Auseinandersetzungen im Vielvölkerstaat sind in eine entscheidende Phase eingetreten. Und vielleicht könnte diese Sitzung sogar die letzte sein. Das würde das Ende des Staates Jugoslawien bedeuten. Denn am Gegenstand der Debatte, an der Verfassung, treten in aller schärfe die Interessenskonflikte zwischen den Republiken hervor.

Die nördlichen Republiken Slowenien und Kroatien sind in der letzten Woche mit eigenen Verfassungsentwürfen an die Öffentlichkeit getreten. Jugoslawien soll ihren Vorstellungen gemäß von einem Bundesstaat in eine Konföderation, in einen Staatenbund, in einen „Bund souveräner und demokratischer Staaten“ umgewandelt werden. Dagegen wollen die übrigen vier südlichen Republiken Serbien, Bosnien-Herzogewina, Mazedonien und auch Montenegro an dem bisherigen System festhalten, oder, wie im Falle Serbiens, sogar noch die Zentralgewalt stärken. Dahinter verbirgt sich nicht nur nach Meinung der beiden nördlichen Regierungen gerade bei der größten Republik, nämlich Serbien, der Wunsch, die Bundesinstitutionen für eine Politik der Hegemonie in Jugoslawien zu instrumentalisieren. Für die anderen südlichen Republiken sind es eher finanzielle Forderungen, die im Vordergrund stehen. Denn bisher trugen Kroatien und Slowenien die größten Lasten zur Finanzierung des Bundes und darüber vermittelt auch die des Südens.

Für die nördlichen Republiken ist der Vorschlag einer Konföderation die letzte Chance für den Staat Jugoslawien. „Wir wollen“, so sagte der slowenische Präsident, „niemanden zwingen, einem Staatenbund zuzustimmen.“ Doch andererseits werde Slowenien nicht darauf verzichten, seinen Weg der demokratischen und ökonomischen Reformen weiterzugehen. Und der Präsident weiß seit einer Meinungsumfrage 80 Prozent seiner Landsleute hinter sich. Nach Kucan ist die volle Selbständigkeit oder eine Föderation mit Kroatien durchaus vorstellbar. Schon jetzt hat Slowenien auch nach außen hin Schritte unternommen, als eigenständiger Staat aufzutreten. Letztes Zeichen dafür ist die Einrichtung eines Büros in Brüssel, wie gestern bekanntgegeben wurde. Slowenien, die ökonomisch am weitesten entwickelte Republik, möchte den Anschluß an Europa nicht verlieren.

In Kroatien herrscht eine vergiftete Atmosphäre

Auch die kroatische Führung unter ihrem im Frühjahr gewählten Präsidenten Tudjman sieht kaum noch einen anderen Ausweg, als auszusteigen. Konfrontiert mit einer Kampagne der serbischen Minderheit im eigenen Land, deren Führung sich trotz des Zugeständnisses aller Minderheitenrechte offenbar zum verlängerten Arm der Politik des serbischen Präsidenten Milosević machen ließ, ist sie aber ungleich stärker als die slowenische Führung unter Druck geraten. Denn gerade die Aufstände der serbischen Minderheit im eigenen Land birgt Risiken: ein härteres Vorgehen der kroatischen Polizei würde den territorialen Forderungen Serbiens an den kroatischen Staat ungewollt Nachdruck verleihen. Aber auch in Kroatien herrscht eine vergiftete Atmosphäre: Serben werden wie Mitglieder eines feindlichen Landes behandelt. Auf beiden Seiten scheint jegliche Rationalität in der politischen Auseinandersetzung verschwunden zu sein.

Als entscheidend für die Kräfteverhältnisse in Jugoslawien wird von allen Seiten die Entwicklung in Bosnien-Herzogewina angesehen. Dort leben jeweils starke Minderheiten von Serben und Kroaten. Die Repräsentanten der muslimischen Mehrheitsbevölkerung haben in den letzten Wochen und Monaten erkennen lassen, daß sie dem serbischen Hegemoniestreben entgegenwirken wollen. Ob sich aber die Idee der Konföderation auch bei den bosnischen Parlamentariern durchgesetzt hat, ist zweifelhaft, sind sie doch noch in den alten kommunistischen Strukturen gewählt worden. Erst im November, bei den ersten Wahlen unter den Bedingungen des Mehrparteiensystems, werden hier die Weichen wirklich gestellt. Und könnten sich die Kosovo-Albaner frei entscheiden, sie würden für eine Allianz mit Slowenien und Kroatien votieren.

Der Zentralregierung unter Ministerpräsident Marković sind die Zügel schon entglitten. Marković, der zwar in seiner Wirtschaftspolitik Erfolg hatte, hat hinsichtlich der Verfassungsdebatte an Einfluß verloren. Unter diesen Umständen sind Kompromisse nur noch schwer vorstellbar. Das Militär, das sich mit Putschgerüchten ins Gespräch bringt, will keinesfalls einem Auseinanderfallen des Staates tatenlos zusehen. Vielleicht könnte nur noch der Vorschlag, eine neue Verfassung vom gesamten Volke abstimmen zu lassen, die Emotionen beruhigen. Erich Rathfelder

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