Die Republik Serbien beharrt auf föderativen Status quo

■ Nur eine unbedeutende Minderheit serbischer Intellektueller hat Verständnis für die Konföderationspläne aus Kroatien und Slowenien

Noch keine drei Jahre ist es her, daß der mit Berufsverbot belegte Belgrader Marxist Ljubomir Tadić auf einem informellen Symposium von osteuropäischen Freunden gefragt wurde, sag mal Ljubo, wir Balten wollen unabhängig werden, die Ukrainer wollen weg von Moskau, und glaubst du denn wirklich, der Vielvölkerstaat Jugoslawien ist mehr als ein Provisorium, das 1918 entstand, weil keines der Völker sich damals in der Lage sah, einen eigenen Nationalstaat zu errichten? Tadić lachte und antwortete mit einer Gegenfrage. „Kennt ihr aus der Geschichte einen einzigen Staat, der zu Friedenszeiten zerfallen ist?“

Tadić ist ein entschiedener Gegner des kommunistischen Präsidenten Serbiens, Slobodan Milosević. Genausowenig kann er das derzeitige jugoslawische Staatsoberhaupt Borisav Jovic, wie Milosević Serbe, leiden. Und, wie er selbst sagt, will er auch nicht an die Macht nach den anstehenden freien Wahlen. Aber eines verbinde ihn doch mit seinen Gegnern: die jugoslawische Idee. Nein, er wolle die Konföderationspläne, die kroatische und slowenische Politiker als einzige Alternative zur derzeit verfahrenen innenpolitischen Situation vorschlagen, nicht akzeptieren. Es ginge nicht, diesen Vielvölkerteppich in Kleinstaaten aufzulösen, in einen losen Bund souveräner Teilstaaten mit eigener Wirtschafts-, Außen- und Verteidigungspolitik.

Ethnisch homogene Republiken gibt es nicht

Es gibt nahezu keinen serbischen Intellektuellen, genauso wenige bosnische, mazedonische oder montenegrinische, die den Konföderationsvorstoß aus dem Norden verstehen. Ihr Grundgedanke: Die derzeitigen sechs jugoslawischen Teilrepubliken sind nicht mit den ethnischen Grenzen der einzelnen Völker im Einklang. Ethnisch homogene Republiken existieren nicht in Jugoslawien. So leben im derzeitigen Kroatien Hunderttausende Serben und Ungarn, Zehntausende Moslems, Albaner u.a., nicht einmal 60 Prozent der Einwohner sind Kroaten. In Serbien stellen die Serben kaum mehr als 50 Prozent. Noch vermengter sind die Verhältnisse in Mazedonien und Bosnien. Würde man Jugoslawien auflösen, es würde sich die Frage der Grenzen in aller Härte stellen.

Die Mehrzahl der neuentstandenen serbischen Parteien legt sich ein noch hegemonistischeres Mäntelchen um als die derzeit alleinregierenden Kommunisten um Slobodan Milosević. Gemeinsam bezichtigen sie die Nordrepubliken des Separatismus' und gar der „faschistoiden Innenpolitik“, denn diese würden alles daran setzen, daß das „serbische Volk in seiner Einheit zersplittert“ werde.

So erklärte am Vorabend der entscheidenden Parlamentssitzung der serbische Ministerpräsident Radmilović im Fernsehen, man könne die Pläne Kroatiens und Sloweniens nicht einmal als hypothetische Diskussionsgrundlage heranziehen, weil bei einer Konföderation seine Landsleute „in einem unsicheren Zustand in anderen Staaten ihrem Schicksal überlassen“ würden.

Die Belgrader Tageszeitung 'Politika‘ überspannte den Gedanken und behauptet: „Serbische Landsleute könnten dann einem kroatischen Terror wie in der faschistischen Ustascha-Zeit zum Opfer fallen.“ Eine unglaubliche Demagogie, wenn man weiß, daß die albanische Minderheit Serbiens wie auch die ungarische der Republik seit neuestem keinerlei Minderheitenrechte mehr genießt, beide Völker von der derzeitigen Zukunftsfrage vollkommen ausgeschlossen wurden und ein brutaler Polizeiterror alltäglich im Kosovo-Gebiet für Schlagzeilen sorgt. So hat zum Beispiel nach Rundfunkberichten vom Mittwoch Serbien, das im Sommer die von Albanern bewohnte Provinz Kosovo gleichgeschaltet hatte, weit über 2.000 albanische Geschäftsleute mit einer Geldstrafe und einem Arbeitsverbot belegt. Sie hätten sich einem politischen Streik der Albaner gegen Serbien angeschlossen, lautete die Begründung für das einjährige Arbeitsverbot. Am gleichen Tag hatten die Zeitungen die Entlassung von 1.300 albanischen Briefträgern berichtet. Sie hatten im Kosovo aus Protest gegen die Entlassung von 500 albanischen Führungskräften der Post seit einem Monat gestreikt.

Verheerende Wirtschaftslage im Süden

Ein nicht minder wichtiger Grund für die Aufrechterhaltung des Status quo, der jedoch nur andeutungsweise ausgesprochen wird, ist die verheerende Wirtschaftslage im Süden Jugoslawiens. Marode Betriebe in den südlichen Republiken werden zum größten Teil durch eine erhöhte Steuerabgabe in Kroatien und Sloweniens mitfinanziert. Selbst der überhöhte Dinarkurs von 35 Prozent gibt slowenischen Firmen derzeit nur die Möglichkeit, ihre Produkte in anderen Landesteilen anzubieten, für den westlichen Markt sind die Herstellungskosten zu hoch. Glaubt man offiziellen Angaben der jugoslawischen Regierung, so verschlingt die „Stabilisierungspolitik“ in Kosovo täglich mehrere hunderttausend Dollar — eine Summe, die die Teile der Föderation gemeinsam aufbringen müssen. Proteste aus Ljubljana und Zagreb waren bisher nichts weiter als Lippenbekenntnisse, denn bezahlt wurde über Belgrad.

Fürchtet Belgrad, bei einer Konföderation „leer“ auszugehen, so befürchten wiederum Politiker kleinerer Völker, daß sie, sollten sich Slowenien und Kroatien von der jugoslawischen Staatsidee verabschieden, dann überhaupt keine Verbündeten mehr hätten gegenüber dem serbischen Hegemonialstreben. Ein Alptraum aller Albaner und Mazedonier, die darauf drängen, Slowenien und Kroatien mögen sich für das Schicksal des Vielvölkerstaates auch weiter verantwortlich zeigen. Roland Hofwiler, Belgrad