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Gespielte Tugendhaftigkeit am Golf

■ „Geduldig auf die Auslöschung aller Diktaturen hinarbeiten“ DOKUMENTATION

In der Golfkrise bezahlen wir für unsere Untreue gegenüber unseren eigenen Grundsätzen; wir bezahlen unsere politische Sorglosigkeit im vergangenen Jahrzehnt, unsere Nachlässigkeit gegenüber dem Rechtsstaat, unsere Gleichgültigkeit gegenüber den Diktaturen des Südens, unseren Glauben an die Harmlosigkeit des Handels (insbesondere des Waffenhandels), unsere Unterwerfung unter die Gesetze eines Marktes, die zur modernen Variante des Fatalismus geworden ist.

Alle diejenigen, die zur Nichteinmischung raten, müssen wir fragen: Warum haben sie nicht gegen die Waffenverkäufe an unseren lieben irakischen Verbündeten protestiert (die sich bis zum Morgen des 2. August 1990 fortsetzten), gegen Bagdads chemisches Massaker an kurdischen Zivilisten 1988, gegen die Tatsache, daß Frankreich, das im selben Jahr eine internationale Chemiewaffenkonferenz in Paris einberufen hatte, keine symbolische Verurteilung des Iraks aussprechen wollte? In diesem Zusammenhang ist der Anblick ehemaliger gaullistischer und sozialistischer Verantwortungsträger, die zumindest durch ihr Schweigen Komplizen wurden, schon ganz spaßig: Sie spielen die Tugendhaften und schieben ihre Irrtümer auf den schrecklichen amerikanischen Imperialismus ab. (Zu glauben, wie es viele tun, daß die Truppenentsendung nach Saudi-Arabien den Wunsch Washingtons nach Weltbeherrschung ausdrückt, ist falsch: mit diesem riesigen Expeditionskorps zeigt Washington eher Schwäche als Stärke, denn es ist gezwungen, seine Alliierten am Ärmel zu ziehen, und wird vielleicht bald zum bedürftigen Söldner der westlichen Welt.)

Doch diejenigen, die den Krieg unbedingt haben wollen, sind nicht weniger verantwortungslos. Endlich ist der Feind wieder da! Der alte Ost- West-Gegensatz erlebt seine Wiedergeburt an den Ufern des Tigris, Satan nimmt wieder eine menschliche Form an. Schluß mit der „post- totalitären Depression“, die auf den Zusammenbruch des sowjetischen Reiches folgte! Damals hat man erlebt, wie die alten Protagonisten des Antikommunismus, ihrer alten Jagdgründe beraubt, im Nu ihre Kreuzritterrüstung anlegten: Schnell, ein Feind muß her, egal wer, alles ist besser als das Nichts! Die Eile, mit der man Saddam Hussein zum neuen Hitler machte, wäre lächerlich, wenn sie nicht ebenso unsere alten Nostalgien offenbaren würde: wie schön schien doch die aufgezwungene Schlacht, fast schon haben wir die neue Sinnkrise überwunden!

Wenn sich eine Demokratie zum bewaffneten Kampf entschließt, müssen alle anderen Lösungen gescheitert sein, und dieser Kampf muß eine Gerechtigkeits- und Fortschrittsidee in sich tragen.

Doch die Sache, um die es jetzt geht, ist hochgradig verworren. Der moralische Höhenflug unserer Führungsschicht kann uns ihren Zynismus und ihre Heuchelei nicht vergessen machen. Wir im Westen pflegen das Recht nur gelegentlich und auf merkantilistische Weise: Wir berufen uns darauf, um unsere nächstliegenden Interessen zu verteidigen, und wir vergessen es, wenn es uns in den Kram paßt (so wie wir es in China nach dem Tiananmen-Massaker vergessen haben, in Tibet, in Liberia, in den israelisch besetzten Gebieten, in Kurdistan, in Sri Lanka, in Kambodscha, wobei diese Situationen sich natürlich alle unterscheiden).

Vielleicht war es logisch, dem Irak bei der Eindämmung des verrückten fundamentalistischen Kreuzzugs Teherans zu helfen, aber nach dem Ende dieses Krieges hätte man Saddam Hussein ausschalten, ihn isolieren, ihm die Lebensgrundlagen entziehen, alle militärischen Materiallieferungen unterbinden sollen. Aber in der Hoffnung auf saftige Märkte haben das tugendhafte Amerika und das edle sozialistische Frankreich ihre Verträge weiter eingehalten. Und wenn wir verantwortliche Bürger wären anstatt umnachtete, hätten wir niemals unseren Regierenden erlaubt, in einer Mischung aus Geschäftemacherei und Blindheit das Anwachsen eines verrückten Despoten in einer der sensibelsten Regionen der Welt zu erlauben.

Zur Trauer ist es zu spät, aber diese Affäre sollte uns zumindest als Lehre dienen: Sie sollte uns helfen, ein sofortiges und vollständiges Moratorium auf Verkäufe von Waffen und gefährlichen Gütern an Regierungen der Dritten Welt durchzusetzen; sie sollte uns lehren, die Außenpolitik unseres Landes zu kontrollieren, und die Definition internationaler Optionen nicht der militär-industriellen Lobby zu überlassen. Die Intervention am Golf im Namen großer Grundsätze, die Reaktivierung der Rolle der UNO stellt uns vor eine zugleich einfache und schreckliche Herausforderung: unsere Taten in Einklang mit unseren Werten zu bringen. Wenn sich die Staaten des Westens wirklich zu einer Moralisierung der internationalen Beziehungen aufraffen, stehen sie vor einer schweren Verantwortung: auf eine fortschreitende und geduldige Auslöschung aller Dikaturen des Planeten hinzuarbeiten. Pascal Bruckner

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