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Seoul setzt im innerkoreanischen Dialog auf Zeit

Bei den Gesprächen in Pjöngjang wurden noch keine Fortschritte erzielt/ Kim Il Sung bietet Gipfeltreffen an/ Südkorea hält an harter Verhandlungslinie fest/ Nordkorea steht unter Druck, sich wirtschaftlich und außenpolitisch zu öffnen  ■ Aus Seoul Peter Lessmann

Mit Spannung blickten alle Augen am Donnerstag nach Pjöngjang, wo sich der südkoreanische Premierminister Kang Young Hoon mit dem nordkoreanischen Staatschef Kim Il Sung treffen sollte. Noch nie seit der Teilung Koreas 1945 hatte es eine Begegnung auf derart hoher Ebene gegeben. Doch während der 20minütigen Unterredung blieb es bei freundlichen Worten und Gesten. Bei dem Gespräch war auch der nordkoreanische Premier Yon Hyong Muk zugegen. Die Regierungschefs, die in beiden Systemen überwiegend protokollarische Pflichten erfüllen, hatten sich im September in Seoul erstmals seit der Teilung getroffen. Die Wiedervereinigung sei ein Anliegen aller Koreaner, meinte Kim, deshalb müßten die Entspannungsgespräche fortgesetzt werden. Er wolle sich auch mit dem südkoreanischen Präsidenten Roh Tae Woo treffen, wenn es sichtbare Ergebnisse gäbe.

Wenige Stunden zuvor war das zweite Treffen der Premierminister aus Nord- und Südkorea ohne Fortschritte zu Ende gegangen. Wer was anderes erwartet hatte, war ein Narr und wurde enttäuscht. Die Verhandlungen, an diesem Donnerstag hinter verschlossenen Türen, endeten in einer Sackgasse. Einigen konnten sich Kang Young Hoon und sein nordkoreanischer Amtskollege Yon Hyong Muk lediglich auf eine dritte Unterredung, die Anfang Dezember in Seoul stattfinden soll. Wie schon bei der ersten historischen Zusammenkunft in Südkorea, waren diesmal erneut Gesten und Symbolik ausschlaggebend. Als Kang sich am Dienstag zu den zweiten Premierministergesprächen nach Nordkorea aufmachte, wurde er an der innerkoreanischen Grenze in Panmunjom noch mit Pathos begrüßt.

Harte Verhandlungen

Doch als Kang und Yon dann einen Tag später zur Sache kamen, prallten die Gegensätzlichkeiten wieder einmal mit aller Härte aufeinander. Nach Sitzungsende, wissen Journalisten aus Pjöngjang zu berichten, hätten sich die Premiers noch nicht einmal die Hände schütteln wollen. Nord- und Südkorea sind weit davon entfernt, die tiefsitzende Feindschaft zu überwinden, geschweige denn Aussöhnung und Wiedervereinigung zu erreichen. Die Teilung Koreas, von den Siegermächten nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges dem Land aufgezwungen, gilt im Norden und Süden als das größte Schicksal, das je über die Halbinsel hereinbrach. Einen Abbau der Spannungen und eine baldige Überwindung der Teilung — das wollen deshalb alle. Aber keine Seite unternimmt den ernsthaften Versuch, Kompromisse einzugehen. Langjähriger Antikommunismus im Süden und eine Mixtur aus stalinistischer Herrschaft und konfuzianistischer Führergläubigkeit im Norden haben die ideologische Feindschaft nahezu unüberbrückbar gemacht.

Die beiden Teilstaaten befinden sich 37 Jahre nach dem Korea-Krieg technisch immer noch im Kriegszustand. Das Waffenstillstandsabkommen hat Südkorea nie unterzeichnet. Während der Verhandlungen in Pjöngjang forderte Nordkoreas Premier erneut einen gemeinsamen Nichtangriffspakt. Yon unterbreitete außerdem einen Siebenpunkteplan, der unter anderem zum Ende des Rüstungswettlaufs und Verringerung des Waffenarsenals aufruft.

Süden will kleine Schritte

Der Süden will jedoch erst einmal kleine Schritte, vertrauensbildende Maßnahmen, Besucheraustausch, mehr Kommunikation und Handelsbeziehungen; und als wichtigster Punkt, gemeinsame Anerkennung der beiden Regierungen. Doch Yon Hyong Muk machte klar, daß der Norden da nicht mitzieht.

Denn Pjöngjang fürchtet, daß eine solche offizielle Erklärung die Teilung festschreibe und damit den Weg eines getrennten Eintritts beider Koreas in die UNO vorzeichne. Die UN-Frage ist eine der strittigsten Themen zwischen Seoul und Pjöngjang. Die beiden anderen sind das jährliche Militärmanöver „Teamspirit“ der Truppen Südkoreas mit den dort stationierten US- Streitkräften und die Inhaftierung von Dissidenten, die illegal den Norden besuchten. Nordkorea fordert deren Freilassung und die Aussetzung des Militärdrills, der schon so einige innerkoreanische Gesprächsrunden zu Fall brachte.

Dies seien jedoch interne Angelegenheiten, sagt Regierungschef Kang. „Wenn Sie diese Einmischung nicht aufgeben“, warnte Kang die Nordkoreaner, „dann könnten auch wir eine Menge über Ihre internen Angelegenheiten auf den Tisch bringen.“ Dennoch gibt es da einige Ungereimtheiten in der südkoreanischen „Nordpolitik“. Einerseits soll Pjöngjang nicht mehr als Feind, sondern Partner angesehen werden. Andererseits gilt aber nach dem nationalen Sicherheitsgesetz Nordkorea immer noch als eine „Anti-Staatsorganisation“. Verstöße gegen das berüchtigte Gesetz können im Süden mit hohen Freiheitsstrafen geahndet werden — 400 Personen sollen nach Zahlen des nationalen Kirchenrates gegenwärtig davon betroffen sein.

Auch die südkoreanische Opposition fordert die Freilassung der Gefangenen, um ein günstiges Gesprächsklima zu schaffen. Außerdem sollten Seoul und Pjöngjang ihre harschen Sicherheitsgesetze reformieren. Doch der südkoreanischen Regierung geht's um ein Prinzip. In Grundsatzfragen, hatte Staatschef Roh seine Delegation angewiesen, „müssen wir hart bleiben“.

Nordkorea in der Defensive

Mit der Öffnung der sozialistischen Staaten in Osteuropa ist Nordkorea weiter in einer Defensive geraten. Offizielle in Pjöngjang geben inzwischen zu, daß das Land mit erheblichen wirtschaftlichen Problemem zu kämpfen hat. Die UdSSR, ein langjähriger Verbündeter und wichtiger Warenlieferant, will ab 1991 harte Dollar für dringend benötigtes Erdöl. Aber Nordkorea steht mit rund sechs Milliarden US-Dollar im Ausland in der Kreide und hat keine Devisen. Die sollen jetzt bald aus Japan kommen, hofft Pjöngjang, wenn die neuerlichen Annäherungsversuche fruchten und das Land seine Beziehungen zu Tokio tatsächlich normalisieren sollte.

Südkoreas Führung glaubt, daß sich Nordkorea über kurz oder lang reformieren und öffnen muß, wenn es sich nicht gänzlich isolieren will. Und dabei soll Moskau, mit dem Seoul im September diplomatische Beziehungen aufgenommen hatte, ein wenig nachhelfen. Aber Pjöngjang will keine Wiedervereinigung nach deutschem Modell — das hatte Kim Il Sung kürzlich noch Abgeordneten der sozialistischen Partei Japans erzählt. Er präsentierte dagegen erneut seinen Konföderationsvorschlag: ein Land, eine Nation, aber zwei Systeme. Wie dies allerdings bei soviel Mißtrauen und Unterschiedlichkeit funktionieren soll, weiß niemand. Seoul jedenfalls hält den Weg für unpraktikabel und scheint entschlossen, seine harte Verhandlungslinie durchzuboxen.

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