Stromschläger und starke Familien

■ Im Amtsgericht: Familienvater klemmt 220 Volt an Kinderzimmerklinke

Es gluckst und schnieft in einem fort im Großen Sitzungssaal Numero 551 des Amtsgerichtes. So ein blondgoldiges Mäderl! Drei Jahre vielleicht alt und schon so ein Unterhaltungstalent! Die gastierende Schulklasse ist komplett hin, von mir mal ganz abgesehen. An der Balustrade, welche die Zuschauerplätze abriegelt, läuft es auf und ab, das Mädchen, zeigt ein in Spitzenkräglein gefaßtes Strahlelächeln und brabbelt zu uns in verschollenen Dialekten. Alles ist ihm ein seltenes Vergnügen; es hat drei Reihen Publikum gegenüber und eine große Bühne für sich mit sonderbaren Figuren, steif herumhockend großteils und in schwarze Mäntel gehüllt. Der Vater ist auch da, wortkarg, verschlossen, ein bißchen abseits.

Der Maschinenschlosser Rainer M. (26) verweigert erst jede Aussage. Sein Verteidiger hat das Mandat schon vor der Verhandlung niedergelegt. Er hat, gab er schriftlich an, zu Rainer M. keinen Zugang gefunden. Im Lauf der Verhandlung entfällt dem Angeklagten aber doch ab und zu ein Nicken, mal brummt er zustimmend, dann macht er leise, stockende, nur dem Richter Rathke verständliche Angaben. Erst am Ende kommt ein nun sonderbar ernstes, deutliches Ja. Damit gesteht er, im Frühjahr 1989 in der ehelichen Wohnung die Türgriffe zum Kinderzimmer unter Strom gesetzt zu haben. Er hat ein Kabel einerseits in die Steckdose gesteckt, andererseits mit blanken Enden an die Klinke geklebt.

Rainer M.s Frau Claudia hat damals, bei Erstattung der Anzeige, ausgesagt, sie sei, als sie einmal infolge Zerrüttung der Ehe im Kinderzimmer geschlafen habe, nachts aufgestanden. An der Klinke habe sie einen heftigen Stromschlag erhalten. Jetzt, im Gericht, verweigert Frau M. lächelnd die Aussage. Die Ehe, heißt es, funktioniert wieder.

Früher, da gab es „Schwierigkeiten“, wie man sagt. Einmal mußte sich Frau M. ins Bremer Frauenhaus flüchten. Rainer M., so hat er über seinen Ex-Verteidiger einwenden lassen, litt sehr unter der Trennung von seiner Tochter. Mit seinem kleinen Attentat wollte er der inzwischen zurückgekehrten Frau „eins auswischen“, hat er mal gesagt.

Rainer M. wird zu 8 Monaten und zwei Wochen Haft auf zwei Jahre Bewährung verurteilt, wegen gefährlicher Körperverletzung.

Der routinierte Richter Rathke, als er das Urteil verkündet, stockt er doch einmal kurz: Da läuft das Mädchen in die Mite des Saales, setzt sich auf den Zeugenstuhl, keine drei Meter vom Richter Rathke, lächelt ihn an und quietscht dazu und bleibt sitzen bis zum Ende. schak