: “Die TürkInnen in meinem Haus sehen das ganz anders“
■ Betr.: „Bremen, die Stadt der Alten“ taz vom 13.10.90
Liebe tazlerInnen,
als Alternative zum journalistischen Einheitsbrei seid Ihr vor einiger Zeit in Bremen angetreten — doch alternativ scheint Ihr häufig genun mit unreflektiert oder schlecht recherchiert gleichzusetzen.
Letztes Beispiel für die unverzeihliche Verschwendung einer ganze Seite in der Bremer Lokal-taz: der krampfhaft bemühte Versuch von Herrn Ilker Mara, seine offenbar mangelnde journalistische Kompetenz mit einer hilflos gequälten Aufzählung von Vorurteilen und Fehlbeobachtungen zu vedecken. Selbstverständlich ist eine Tageszeitung immer nur so gut wie das redaktionelle Niveau. Was also hat die verantwortliche RedakteurIn dazu bewogen, Herrn Magas unendlich peinliche „Hundefell-Vergleichsanalyse mit der Haarfarbe der Hundebesitzerinnen“ abzudrucken? Reichte die Zeit bis zum Redaktionsschluß nicht aus, um festzustellen, daß dieser (hoffentlich aus Unkenntnis nicht beabsichtigte) rassistische Nonsens eine Unzumutbarkeit für die LeserInnenschaft bedeutet? Eine Übereinstimmung von Hundelocken und Frauenlocken — das kann doch nicht Euer Ernst sein. Die Bremer taz muß sich die Frage gefalles lassen, ob es ihrem Team so sehr an redaktioneller Erfahrung mangelt, daß der Satz „Die Menschen aus der Türkei werden ständig verachtet“ weder kommentiert wird noch auch nur der Ansatz einer Verifizierung erkennbar ist. Die TükInnen in meinem Haus sehen das ganz anders. Will die taz den LeserInnen wirklich zumuten, sich von Herrn Maga belehren lassen zu müssen, wie sie seiner Meinung nach den 1.Mai zu begehen haben? Haben wir in Zukunft gar noch mehr dieser moralsauren Vorwurfshaltungen zu erwarten? Mein Vorschlag generell: Setzt Euch mit den Elaboraten der freien Mitarbeiter professioneller auseinander und setzt höhere Maßstäbe an, andernfalls wird die Lokal-taz im Sumpf der Beliebigkeit versinken. Soviel Zeit und Engagement muß sein. Und außerdem: Erklärt doch Herrn Maga, daß er sich in seiner Wahlheimat in Toleranz üben möge, wenn kein Spielzeug auf der Straße liegenbleibt. Informiert ihn darüber, daß in Bremen, Norddeutschland, kein Türke gezwungen wird, lange Haare zu tragen. Im eigenen Interesse bittet ihn, alle zur Verfügung stehenden Quellen auszuschöpfen, bevor er sich über quantitative Aspekte der deutschen Hundehaltung im Feudalismus ausläßt. Es ist an der Zeit, unbeugsam und beharrlich an der Qualitätssteigerung der Bremen Lokal-taz zu arbeiten, und das in jedem Artikel. Zudem müßt Ihr versprechen, NIE wieder eine Buchstabenfolge zu übersehen und dann zu drucken wie in der fünften Spalte der o.g. Hintergrundseite: „Die Fremden, die es schaffen, immer an der Tagesordnung zu bleiben, für die immer wieder Sondergesetze verabschiedet werden.“ Verständnislos, Ihr Harald Kiery
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen