: Tuten und Blasen
■ »Blasmusik '90« aus Asien und Europa im Museum für Völkerkunde und im Haus der Kulturen der Welt
Mit starken Stücken aus Korea im schwach besetzten Foyer des Dahlemer Museums für Völkerkunde begann letztes Wochenende die diesjährige Koproduktion mit dem Haus der Kulturen der Welt — Blasmusik mitnichten nur aus der weiß-blauen Provinz im Herzen der nordwestasiatischen Halbinsel, auf der man sich einbildet, der Mittelpunkt der Welt zu sein. Vielleicht war manchen der Titel zu verblasen, um sich auf den langen Weg nach Dahlem zu machen — das Programm bot jedenfalls bisher einige schöne und einige weniger schöne Überraschungen. Ob das nette Promenadenkonzert eines ungarischen Husaren mit Tárogató und die Kollegen Museumswächter aus Budapest mit mitgebrachter Instrumentensammlung die Reise wert waren, ist die Frage, aber vier Herren aus dem slowakischen Hochland bliesen heiße Luft durch ihre meterlangen Fujara-Obertonflöten und behaupteten zum Glück auch nicht, auf ihren Tonleitern könne man geradewegs in den Himmel klettern, wie das ihre deutschen New-Age-Imitatoren tun. Ich hätte sie ganz gern auch mit längeren als mit Dreiminutenstücken gehört, und zu den wilden Hochzeitsmusiken des albanischen Saze-Ensembles aus Pogradec, bewacht von einem scharfblickenden Herrn, fehlte mir eigentlich nur ein Glas Wein. Die beiden Gruppen waren übrigens zum ersten Mal hier — schade, daß sich das sowenig herumgesprochen hat.
Zu einem Massenauflauf führte dann das Konzert der Exiltibeter aus dem Schweizer Rikon, womit die Ausstellung Götter des Himalaya schloß, die, wie der dazugehörige Katalog sagt, eigentlich gar nicht so heißen dürfte, weil im Buddhismus auch die Götter nur Hilfsvorstellungen sind — hört sich aber trotzdem gut an, nicht? Die gesamte buddhistische Gemeinde war erschienen zu Predigt und Musik, leider ohne markerschütternde Trompeten, die der Musikgenußsüchtige sich erhofft hatte.
Ab dieser Woche blies man im Haus der Kulturen der Welt zuerst chinesische Flötenmusik vom Delikatesten, wunderschön gespielt, dafür am nächsten Abend indische Shahnai zum Einschlafen. Zu Hause in Benares wäre das Publikum nach fünf Minuten laut hustend dem Teestand zugestrebt, in Deutschland ist es Usus, mediokrem Gedudel, wenn es aus Indien stammt, in stiller Ergriffenheit bis zum Ende zu lauschen. In Indien mag auch eine »electronic tambura« zum Musikersparen der letzte Schrei sein, aber wenn man schon vorgibt, traditionelle Musik zu spielen, sollte man dazu auch ein traditionelles Ensemble mit einem Shahnai-Grundklang einladen. Ganz Verwegene hatten sogar gehofft, Ali Ahmed Khan aus Kalkutta würde wieder einmal kommen, der vor 14 Jahren beim Metamusik-Festival ein so phantastisches Shahnai-Konzert gespielt hat, daß einige Leute in Berlin noch heute davon sprechen. Hier waren lediglich in elektronischem Gewimmer untergehende Raga-Fetzen zu hören.
Ich habe mich an diesem Abend — ich muß es gestehen — hinübergeschlichen zu den Mustafas ins Tempodrom. Die waren zwar etwas zu laut für meine gepflegten Gehörgänge, aber wenigstens haben sie beim Spielen ab und zu gelacht. Und ein bißchen später tauchten dann nach den indischen Leichenbittermienen plötzlich die Albaner in der Caféteria des Hauses der Kulturen der Welt auf und lieferten sich mit den Ägyptern die heißeste Session, die die »Blasmusik« bisher erlebt hat, unprogrammiertes und ungehemmtes Vorspiel zu einem gestandenen ägyptischen Konzert am Donnerstag abend. Als vor 18 Monaten dieses Haus aufgemacht wurde, hätte ich kaum zu hoffen gewagt, daß solche Sessions dort möglich sein würden. Es hätte genausogut auch auf Hochglanzkultur ohne Überstunden hinauslaufen können. Inzwischen ist genau das Gegenteil passiert. Pieronymus Ghosh
In der Reihe Blasmusik '90 im Haus der Kulturen der Welt, John- Foster-Dulles-Allee, Berlin 21 heute um 19 Uhr: Bläsernacht mit dem Alphornquartett Martin Christu, Mizmar-Baladi-Sa'di- Ensemble (Oberägypten), Saze- Ensemble (Albanien) und Pankoken-Trio (Waterkant). Am Montag um 20 Uhr: Höfische Musik aus Japan.
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