: „The Rhythm of the Saints“
Das neue Album von Paul Simon führt von Soweto nach Salvador/ Ein Gespräch mit dem Sänger ■ Von Volker Präkelt
Gesehen wurde er auf dem Marktplatz von Salvador/Bahia. Häufiger noch in Rio de Janeiro in einem Tonstudio. Die Musikspione steckten die Köpfe zusammen. Nachdem er Township Jive, die Straßenmusik aus Soweto, adaptiert hatte, kommt er uns nun mit Bossa und Samba.
Brasilianische Popmusik im Stil eines Gilberto Gil oder Caetano Veloso hätte dem Sänger mit der chronisch melancholischen Stimmlage durchaus angestanden. Doch das neue Album von Paul Simon unterläuft jedes Klischee dieser Art. Es beschreibt auf eigenwillige Art den Kulturtransfer von Westafrika über die Karibik nach Nordbrasilien. Das ist der Weg, den die schwarzen Sklaven zurückzulegen hatten, mitunter über Generationen. Ihr musikalisches Erbe: der Rhythmus der Heiligen. Auf welche Götterwelt spielt der Albumtitel The Rhythm of the Saints nun an — auf die alte oder die neue?
Paul Simon: Als die schwarzen Sklaven ihre Religion mit der katholischen vermischten, spielten sie den „Rhythmus der Heiligen“ natürlich für die weißen Herren — angeblich. Tatsächlich bezogen sie ihn auf ihre westafrikanischen Götter. Im Laufe der Jahre wurden diese Rhythmen säkularisiert. Was mich daran fasziniert hat, war die Tatsache, daß diese Rhythmen so reich sind, daß sie Jahrhunderte überdauert haben und in ihrer Vielschichtigkeit nichts mit einem normalen Schlagzeugset oder einem Drumcomputer gemeinsam haben.
taz: Afrobrasilianische Rhythmen hört man nicht nur auf der Straße, sondern auch in den Zeremonien von Naturreligionen wie Candomblé und Santeria. Sind Sie der Faszination solcher Zeremonien ebenso erlegen wie David Byrne von den Talking Heads, der sogar einen Film darüber gedreht hat?
Ich habe Santeria-Zeremonie in New York besucht, und vor vielen Jahren in Brasilien ein Makumbaritual. Es war eine faszinierende Erfahrung. Man kann gegenüber diesen Dingen nicht gleichgültig bleiben. Götter werden gerufen und verkörpern sich in bestimmten Teilnehmern. Diese werden dann regelrecht von der Gottheit in Besitz genommen. Mich haben einige befreundete Trommelspieler mitgenommen. Diese Zeremonien sind ja keine Geheimveranstaltungen, aber als Außenstehender muß man sich angemessen kleiden und verhalten.
Verschiedene Rhythmen bilden das Konzept und das Fundament der Platte. Die Songs bauen sich darauf auf. Wie war die Arbeitsweise für „The Rhythm of the Saints“?
Ich mußte viel reisen, insofern dauerte die Arbeit an den einzelnen Songs viel länger als sonst. Die Trommeln habe ich in Brasilien aufgenommen. Zurück in New York habe ich die Aufnahmen im Studio bearbeitet; zum Beispiel schlecht gespielte Takte gegen bessere ausgetauscht, um den bestmöglichen „drumtrack“ zu bekommen. Dann habe ich mit meinem Gitarristen Vincent Nguini aus Kamerun nach Songformen gesucht. So etwas dauert seine Zeit. Dann habe ich wieder an der Melodie gearbeitet, bin zurück ins Studio und habe eine Basslinie hinzugefügt. Stück für Stück, ganz anders als bei „Graceland“, wo ich eine feste Rhythmusgruppe hatte, die einen Song im Prinzip in einem Tag einspielen konnte. Hier habe ich an einem Titel etwa einen Monat gearbeitet.
Die brasilianische Rhythmusgruppe für den Song „The Obvious Child“, zu dem es auch ein Video gibt, heißt „Oludum“ und war bisher nur in ihrer Region populär. Wie sind Sie auf die Gruppe gestoßen?
Zufällig. Sie probten auf einem Platz in Salvador/Bahia. Der Sound war außergewöhnlich — vierzehn Trommler, zehn mit einer Bassdrum und vier mit einer Snare. Das hallte wider, auf diesem steinernen Marktplatz mit seinen pink- und gelbfarbenen Häusern und Kirchen. Aber es gab kein Studio in Salvador, wo ich sie hätte aufnehmen können. Wir haben dann eine 8-Spur-Maschine von Rio nach Salvador gebracht und sie auf der Straße aufgenommen. Ein purer Glücksfall!
Was geschah anschließend mit dem aufgenommenen Material?
Die Gruppe spielte 45 Minuten am Stück. Daraus habe ich im Studio die rhythmische Struktur für eben diesen Song gemacht. Zunächst habe ich die fertige Rhythmusspur nach New Orleans mitgenommen. Dort sollte der Pianist Alain Toussant dazu spielen. Das hat nicht funktioniert, denn der Klaviersound im Studio hat sich nicht mit den Trommeln vertragen, die ja draußen aufgenommen wurden. Dann dachte ich, es liegt vielleicht an der Melodie und habe noch in New Orleans eine neue geschrieben. Dann habe ich es mit Saxophonen versucht. Die paßten auch nicht dazu. Später habe ich im Studio vier Gitarrenspuren zu den Trommeln aufgenommen und sowohl die alte wie die neue Melodie verwendet. Das kam hin. Zwei Jahre waren inzwischen vergangen.
Ein Titel der neuen Platte fällt aus dem Rahmen. Er klingt eher minimalistisch, und die Perkussionsinstrumente sind sehr sparsam eingesetzt.
Das ist mein Lieblingstitel. Die besondere Atmosphäre verdanke ich der Gruppe „Vakti“, die aus derselben Stadt wie der brasilianische Sänger Milton Nascimento kommt. Sie sind ausgebildete Musiker und bauen ihre Instrumente selbst — Vibraphone aus Glas und Streichinstrumente, die maschinell betrieben werden. Sie sind beeinflußt von Minimal Music und verbinden das mit Elementen ihrer Folklore. Die Aufnahmen mit „Vakti“ habe ich dann mit afrikanischen Talking Drums gekoppelt, und dazu kommt die Bluesgitarre des Amerikaners J.J. Cale. Theoretisch paßt das alles nicht zusammen, und doch macht gerade diese Kombination das Stück so geschmeidig, fast flüssig.
Mit Ihrer Arbeitsweise, verschiedene Originalaufnahmen hinterher im Studio zu bearbeiten und zu kombinieren, sind nicht alle Musiker glücklich. Ich hörte von einem Musiker in Salvador, der lieber in einem Studio mit Ihnen zusammengearbeitet hätte, um Gemeinsames zu erarbeiten.
In welchem Studio? Als ich dort war, gab es kein Studio. Wir nahmen die Musik auf der Straße auf. Die Musik einer Gruppe, die eher in Bahia bekannt ist und deren Musik ich mochte. Vielleicht waren andere enttäuscht, daß ich nicht mit ihnen gearbeitet habe. Aber ich konnte natürlich nicht jeden hören. Das ist ein negativer Aspekt, wenn man woanders arbeitet — daß sich manche draußen gelassen fühlen.
Das Album „Graceland“, das seine Quellen aus Südafrika bezieht, hat Ihnen, abgesehen vom Erfolg, auch den Vorwurf des „Kulturimperialisten“ eingebracht, der von den Musiktraditionen anderer Kulturen profitiert.
Ich habe noch keinen Musiker getroffen, der mir das vorgeworfen hat. Denn dann dürfte kein europäischer Musiker mit einem Nichteuropäer zusammenspielen, kein weißer Amerikaner — um die Dinge beim Namen zu nennen — mit jemandem, der farbig ist. Kultureller Austausch wäre nicht legitim. Diese Idee ist lächerlich. Kultur ist nicht an nationale Grenzen gebunden. Der Brasilianer Milton Nascimento zum Beispiel kommt nach Los Angeles, um mit nordamerikanischen Musikern zu spielen. Keiner hält das für „Kulturimperialismus“.
Nur zwei Texte des neuen Albums sind indirekt auf Brasilien bezogen. Die anderen könnten auch gut und gerne zu der Art von Musik passen, die Sie vor „Graceland“ komponiert haben. Oder gab es besondere Anforderungen an die Texte? Hatten sie einem Konzept zu dienen, das vom Rhythmus bestimmt war?
Der Rhythmus war schon der wichtigste Aspekt bei der Arbeit. Danach kam der Gesamtsound und schließlich Melodie und Text, also der eigentliche Song. Aber die Texte sollten trotzdem nicht hintenan stehen. Keine Entschuldigung also, weniger interessante Texte zu schreiben. Ganz im Gegenteil, eine Herausforderung: Je komplizierter das Puzzle, desto größer die Herausforderung.
Studiert man die Texte, dann werden in Andeutungen persönliche Empfindungen und Befindlichkeiten sichtbar. Hat das Schreiben so etwas wie eine Therapiefunktion?
Der Akt des Schreibens ist oft ein Heilungsprozeß. Denn man schreibt über Dinge, über die man nicht spricht, weil sie schmerzhaft sind. Anfangs denke ich immer: Ich weiß nicht, was ich schreiben soll, denn ich habe nichts zu sagen. Dann stelle ich fest, daß ich zu eingien Dingen durchaus etwas zu sagen habe, aber ich möchte nicht drüber schreiben, weil mir das weh tut. Dann suche ich einen Weg, den Schmerz zu umgehen. Und wenn ich soweit bin, verschlüssele ich die Aussage, so daß keiner mehr versteht, was ich eigentlich sagen will.
In Salvador/Bahia zeichnete Paul Simon 45 Minuten Trommelmusik einer lokalen Gruppe auf, die er für einen Songtitel auf vier Minuten und acht Sekunden zusammenfaßte. Das Interview mit Paul Simon in München, an dem drei weitere JournalistInnen beteiligt waren, dauerte 70 Minuten. Zitiert wurden für diese Zusammenfassung acht Minuten und 30 Sekunden.
Paul Simon: The Rhythm of the Saints, Warner Bros. 7599-216098-2
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