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Nichtkönnenwollensollen

■ Uerdingen und Gladbach vom Allerkläglichsten (1:1) PRESS-SCHLAG

Noch kein halbes Jahr ist es her, da kickten 22 Freunde dermaßen friedlich miteinander herum, daß das Nullnull durch keinerlei Chance oder gar Torschuß gefährdet werden konnte. Das geplante Remis rettete beide, Gladbach und Uerdingen, vor dem Abstieg. Hinterher hatten die beiden Trainer das Spiel schöngeschwätzt, mit allerlei eleganten Formulierungen seelenzergliedlerisch gedeutet, das Gebolze sei keineswegs auf äußere Absprache zurückzuführen, sondern einer tiefen seelischen Verspannung im Verein mit lähmender Existenzangst geradezu zwangsweise entsprungen, und habe den hochsensiblen Balltretern unvermeidlicherweise die Schenkel so ärglich gelähmt. Und siehe: Es hatte sich ja auch — Zweck heiligt Mittel — gelohnt, damit man weiter kicke in der höchsten Liga, um weiter Spitzenfußball zeigen zu können und zum Beispiel wieder gegeneinander anzutreten. Was am Samstag immerhin 23.000 Gutgläubige ermunterte, es mit den beiden beim vermeidlich vor Spannung nur so prickelnden Niederrheinderby und Schlagerspiel noch einmal unter echten Wettkampfbedingungen zu versuchen.

Und da nun geschah das ungeheuerliche, das unerwartete, das nachgerade herbergerische, wonach der Reiz des Fußballs darin bestehe, daß man nie weiß, wie es werde. Denn siehe und staune: Es wurde noch übler. Noch erregend ärgerlicher. Nicht daß es diesmal nicht, zu Anfang des Spiels, die eine oder andere hübsche Aktion gegeben hätte, sogar volle zwei Tore, es war der mehrfache Niveausprung vom Nichtwollen der vergangenen Saison zum Nichtkönnen, weiter ins Nichtkönnenwollen bis ins hinterste Nichtkönnenwollensollen.

Diesmal fing Uerdingen überraschend stark an, was mit einem Gladbacher Abwehrverhalten zusammenhing, gegen das ein Hühnerhaufen ein preußisch-pedantisch geordneter Ministerialratsschreibtisch ist. Kamps, der Torwart, flog per Prinzip an allem vorbei oder ließ den Ball voll des Erschreckens abprallen, Klinkert stocherte tatendurstig durch jene Luftteile ohne Lederumhüllung und Kastenmaier schien sich an den Sternen hinter dem Wolkenschleier zu orientieren — das blanke Nichtkönnen. Statt des frühen 1:0 durch Klingers Nachschuß hätte es bequem auch 3:0 stehen können — bis Gladbachs Winter nach 25 Minuten einmal solange lief, bis er den Strafraum fand und dort Rainer Zietschs Grätschbein. Criens verwandelte den Elfmeter zum 1:1, und fortan demonstrierten auch die Gastgeber perfektes Nichtkönnen, ein (1) Schuß fand noch die Richtung Torgehäuse, womit das Spiel 65 Minuten vor Ende jämmerlich erstorben war.

Den Trainern war der Tod gleichgültig. Herr Werkself-Wohlers lobpreiste unablässig die Anfangsminuten seiner Untergebenen — das Nochkönnenversuchen. Gegen den höflichen Vorschlag des WDR-Reporters, ob man dem Spiel noch die Schulnote fünf geben könne, verwahrte sich Wohlers energisch, ohne seine Sichtweise allerdings durch eine alternative Note festzulegen. Wenn es eine sieben gäbe, hätte dieser Krampfkick eine acht verdient gehabt. Und der Herr Borussen-Bruch bekannte sich in seiner Analyse gleich zum Nichtwollen („Wenn man auswärts spielt...“), entschuldigte die Destruktivität mit historischer Erkenntnistiefe —„Wir haben schon besser gespielt und verloren“ (Nichtwollendürfen) — um dank des real erlebten gegnerischen Nichtkönnenkönnens mit dem rechtfertigenden kleinen Credo des Nichtwollenkönnenbrauchens zu enden: „Nachher zählen doch nur Zahlen und Statistiken.“

Nicht nur nach dieser Zumutungsorgie Not gegen Elend. In der Stadionpostille wurde schon vorab ein Computertip verkündet, ermittelt aufgrund aller bisherigen Ergebnisse. Er lautete 1:1. Da könnte man sich zukünftig solche Offenbarungseide der Fußballerei ersparen und die Bundesliga nur noch digital austragen. Schluß mit dem richtigen Leben. Rechner können immer, wollen immer, und sollten immer wollen können dürfen. Bernd Müllender

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