EG-Außenminister auf Allmachtstrip

Auf ihrem heutigen Gipfeltreffen in Luxemburg bereiten die EG-Außenminister ihre Vereinigung mit den sicherheitspolitischen Gremien von WEU und Nato zu einem omnipotenten „Politischen Rat“ vor  ■ Aus Brüssel Michael Bullard

Fast wöchentlich vollzieht sich hoch über den Wolken EG-Europas eine Metamorphose besonderer Art. Mal sind es die Wirtschafts-, mal die Agrar- oder Umweltminister, die in Paris, Bonn oder Madrid als Vertreter der nationalen Exekutiven abheben und wenig später in Brüssel oder Luxemburg landen — als EG-Gesetzgeber. Am heutigen Montag sind es die Außenminister, die sich der wunderbaren Verwandlung unterziehen, um in Luxemburg ihrer Machtvollkommenheit zu frönen. Schließlich entscheiden sie, was die Regierungschefs auf ihrem Gipfel in Rom am kommenden Wochenende absegnen sollen. Die wichtigsten Punkte auf der Tagesordnung sind eine engere Zusammenarbeit im außen- und sicherheitspolitischen Bereich und die angebliche Beseitigung des „demokratischen Defizits“ der EG.

Denn noch immer entscheiden in EG-Europa weder die nationalen Parlamente noch die Europarlamentarier über die Rechtsakte zur Verwirklichung des Binnenmarkts, sondern die Vertreter der nationalen Regierungen. Daß sie mit ihrem Tun der Gewaltenteilung dem hehren Grundsatz bürgerlicher Demokratie ein Schnippchen schlagen, scheint sie wenig zu bekümmern. Im Gegenteil: Unter dem Slogan „Demokratisierung der EG“ bereiten die Außenminister die Beförderung ihres Gremiums zum omnipotenten „Politischen Rat“ vor. Ihre Treffen im Rahmen der außerhalb der EG angesiedelten Europäischen Politischen Zusammenarbeit (EPZ) sollen stärker in den EG-Entscheidungsprozeß integriert werden. Ebenso will man die sicherheitspolitische Koordination, die bisher im Rahmen der Westeuropäischen Union (WEU) und der Europagruppe der Nato stattfand, der EG zuschlagen. Dazu soll ein sogenannter Politischer Rat der zwölf Außenminister eingerichtet werden — die zukünftige zentrale Entscheidungsinstanz der Gemeinschaft. Denn wenn in wenigen Jahren die Schaffung des Binnenmarktes abgeschlossen ist, werden außen- und sicherheitspolitische Fragen noch stärker als jetzt in den Vordergrund der EG-Politik rücken.

Zur Durchsetzung dieses Ziels wurde von den zwölf eigens ein Expertenkomitee eingerichtet, das ein Konzept ausgearbeitet hat für die politische Reform, die im Dezember auf einer Regierungskonferenz beschlossen werden soll. Wie weitgehend die Reform ausfallen wird, ist allerdings noch unklar. Denn über den Grad der außen- und sicherheitspolitischen Zusammenarbeit sowie über das Ausmaß des „Demokratisierungsprozesses“ gehen die Meinungen weit auseinander.

Was die Experten ausgebrütet haben, ist nach Ansicht von EG-Kommissionspräsident Jacques Delors darauf ausgerichtet, die beiden anderen EG-Institutionen, Kommission und Europaparlament, gegeneinander auszuspielen. Den Europarlamentariern soll zugestanden werden, in Zukunft einzelne Kommissare feuern zu dürfen. Außerdem halten es einige Regierungen für „sinnvoll“, das Parlament an einem zukünftigen Abstimmungsprozeß über Außenpolitik zu beteiligen. Dieses Gerede über mehr Kontrollrechte für das Parlament, so der frustrierte Kommissionschef, diene lediglich dazu, den Widerwillen der Regierungen gegen eine wirkliche Machtabgabe an die Europaabgeordneten zu verschleiern. Denn im Grunde ginge es den meisten Regierungen nur um die Stärkung des Ministerrats und der Ständigen Vertretungen, wie die Botschaften bei der EG-Zentrale in Brüssel genannt werden.

Immerhin sollen dem Europaparlament stärkere „Prüfungsfunktionen“ eingeräumt werden. Nach den Plänen des Expertenkomitees wird aber auch in Zukunft Einstimmigkeit im Ministerrat für alle wichtigen Beschlüsse erforderlich sein, um den Vorbehalten gegenüber einer Abgabe nationaler Souveränität an die Brüsseler EG-Zentrale entgegenzusteuern. Konsequenz: Länder wie Großbritannien oder Spanien werden weiterhin mit ihrem Veto dringend notwendige Verbesserungen im Umweltschutz oder bei sozialen Fragen blockieren können. Der Vorschlag des französischen Außenministers Roland Dumas, die Rolle des sechsmonatlich wechselnden Ratsvorsitzes durch eine Verlängerung der Amtszeit aufzuwerten, hat gute Chancen, umgesetzt zu werden. Gegen die Forderung seines Kollegen aus Großbritannien, dem Europäischen Gerichtshof größere Macht zukommen lassen, gibt es allerdings Widerstände. Bislang haben die von den Regierungen ernannten Richter in Luxemburg keine Sanktionsgewalt. Dies wird wohl so bleiben.