Die Furie des Verschwindens

■ DDR-Kulturforschung minus DDR-Kultur: Null, Eins gemerkt? Prof. W. Emmerich und L. Probst (Uni Bremen) im Gespräch

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L.Probst, W.Emmerich

Jetzt, wo die ganze DDR verdampft ist, muß sich das an der Bremer Uni beheimatete „Institut für Kultur und Literatur in der DDR“ zumindest überlegen, wie es fortan heißen will. Über den Eigensinn des Forschungsobjektes und die Wissenschaft, die kaum mehr mitkommt, sprach die taz mit dem Leiter des Instituts, dem Literaturwissenschaftler Professor Dr. Wolfgang Emmerich, und mit seinem Mitarbeiter Lothar Probst.

taz: Die Briefmarkensammler jubeln. Die haben mit der gewesenen DDR jetzt ein abgeschlossenes Sammelgebiet. Und Sie?

Wolfgang Emmerich: In gewisser Weise ist es einfacher geworden, nach dem Motto: Da haben wir die Leiche, jetzt kommen die Anatomen. Aber uns interessieren natürlich in erster Linie jetzt die Umbruchprozesse.

Die verlaufen überaus stürmisch. Wackeln Ihnen da nicht die Lehrstühle?

W.E.: Warum? Wir haben schon vor langem festgestellt, daß sich in der DDR, besonders in der Literatur, ein status quo festgefahren hat, aus dem kein Heraus

Foto: Sabine Heddinga

kommen war. Die ganze Generation der nach '50 Geborenen konnte mit dem herkömmlichen SED-Instrumentarium nicht mehr integriert werden, Sascha Anderson, Rainer Schedlinsky, Uwe Kolbe, um nur ein paar zu nennen, die auch in der taz ab und zu schreiben.

Lothar Probst: Und die auch bei Dir in den Seminaren waren. Symptomatisch für diese Generation ist da die Antwort eines der jungen Autoren vom Prenzlauer Berg auf die Frage, ob er denn ein Aussteiger sei. Da sagte der: Ich bin ja nie eingestiegen.

Da waren Sie also seismographisch tätig. Aber Sie haben die DDR-Literatur auch immer als funktionierendes System beschrieben.

W.E.: Sie hat ja auch, in ihrem Rahmen, funktioniert. Sie hatte, anders als in allen westlichen Gesellschaften, im SED-Staat das unschätzbare Privileg, ernstgenommen zu werden als Gegenöffentlichkeit. Naja, daß am 9. Oktober 89 die Mauer fällt, haben wir natürlich nicht prognostiziert.

Und jetzt müssen Sie Ihren Institutsnamen ändern. Was noch?

W.E.: Wahrscheinlich werden wir uns nennen: „Institut für kulturwissenschaftliche Deutschlandforschung“. Und was den Gegenstand betrifft: wir gehen davon aus, daß zwischen Ost und West noch lange Zeit so etwas wie Diskulturalität bestehen wird.

Heißt das, die DDR ist jetzt wie Bayern, nur anders?

W.E.: Nein, es gibt da etwas ganz Neues, nämlich eine vom politischen System erzeugte Regionalität. Nur ein Beispiel: 60 Prozent der DDR-Bevölkerung verstehen sich als Atheisten. Oder: Für die Jugendweihe im Frühjahr '91 liegen schon 100.000 Anmeldungen vor. Das ist die Hälfte der in Frage kommenden 14jährigen.

Das kann sich auch schnell ändern. Glauben Sie denn, Sie kommen jetzt noch mit?

W.E.: Wir müßten natürlich die gegenwärtigen Anpassungs- oder ich sage mal: Akkulturationsprozesse empirisch untersuchen. Aber dazu fehlen unserem Institütchen, wie wir's nennen, die Mittel. Der „Spiegel“ kann das, die Kulturwissenschaft hinkt hinterher.

Bestimmt haben Sie trotzdem schon was vor.

L.P.: Zumal die Geschichte der DDR-Kultur jetzt plötzlich ein leicht zugängliches Feld ist. Konkret wollen wir ein Archiv aufbauen zur Entwicklung der kulturellen Identität Mecklenburg- Vorpommerns. Und wir wollen, am Beispiel Rostocks, verfolgen, wie die neuen Bürgerbewegungen der DDR, wie diese sehr zivilen Strömungen die politische Kultur in Deutschland beeinflussen.

Wird denn die Literatur der Ex- DDR noch eine Rolle spielen?

W.E.: Schwer zu sagen. In den Buchläden der ehemaligen DDR ist, mit einem Enzensberger- Wort, „die Furie des Verschwindens“ umgegangen. Was früher nicht zu kriegen war, weil es unterm Tisch schon sofort weg war, Heiner Müller, Christa Wolf, Volker Braun, das kriegen Sie jetzt wieder nicht, weil die Buchhändler es gar nicht mehr bestellen. Niemand will es mehr haben. Für die Autoren war das eine enorme narzißtische Kränkung. Die meisten haben sich zurückgezogen: auf die sicheren Bestände oder geradenwegs in die Melancholie.

Das Publikum ist offensichtlich unerbittlich. Erklären Sie doch mal, warum.

W.E.: Das hab' ich schon. Die DDR-Literatur hat als Ersatz-Öffentlichkeit funktioniert. Das ist jetzt hinfällig.

Andersrum: die Hochgelobten waren bloß bessere Wandzeitungsschreiber und geben literarisch nicht viel her?

W.E.: So ist es. Da ist nichts Schlechtes dran. Die DDR war ein kleines Land. Die konnte nicht so viel hervorbringen wie etwa der ganze südamerikanische Kontinent. Ein paar Leute sind aber schon drunter. Heiner Müller bleibt ein Dramatiker von Weltgeltung.

Den mag auch keiner mehr.

W.E.: Ich glaube, dem melancholischen Rückzug der Autoren entspricht eine manische Reaktion des Publikums. Der Maniker schmeißt in seiner Angst alles von sich, er kann seine früheren Bindungen nur noch als Fesseln erleben.

Wie lange wird man den DDR- AutorInnen ihre Herkunft anmerken?

W.E.: Hm. Schwierig. Unterschiedlich. Christoph Heins „Drachenblut“, das haben viele meiner Studenten für ein West- Buch gehalten. Was das Thema Zivilisationskritik betrifft, da haben wir schon sowas wie eine gemeinsame Literatur. Und in ihren besten Vertretern hat sich die DDR-Literatur ja seit den Sechzigern auch ästhetisch modernisiert. Die geschlossene Romanform mit bloßer Abbildfunktion gibt es kaum mehr. Also Günther de Bruyn zum Beispiel wird sich kaum umstellen müssen.

Wo jetzt zwei Kulturen in einem Topf befindlich sind: genügt einmal umrühren oder wird es, aus der Sicht des DDRologen, heftig blubbern?

W.E.: Schwer zu sagen. Die Oberflächenprozesse laufen alle glatt, die Bevölkerung assimiliert sich schnell. Ich würde künftige rechtspopulistische Neigungen nicht ausschließen, die sich aus Verdrängtem und aus unvermeidlichen Frustrationen speisen.

W.E.: Wir würden da gern den Wandel vor allem in der Jugendkultur untersuchen, etwa West- und Ostberliner Szene im Vergleich.

L.P.: Oder auch die Adaption der Schulsysteme. Da müssen sich Zehntausende Lehrer, Lehrerinnen plötzlich umstellen.

W.E.: Das waren ja vorwiegend selektierte, angepaßte Leute. Man müßte die regelmäßig befragen, wie sie zurechtkommen. Das alles hätte ja eigentlich schon längst begonnen haben müssen. Interview: schak