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Aufgelesenes

■ aus der taz vom 16.10.90

aus der taz vom 16.10.90

„Was woanders nicht steht, steht in der taz“, so eine Anzeige in der gestrigen Ausgabe der Berliner Tageszeitung, dem seit jüngster Zeit beliebtesten „Steinbruch“ für Morgenmusik-Moderatoren, wenn es um Aufgelesenes geht. Ich habe aufgelesen, aus der taz von gestern, aus ganz unterschiedlichen Seiten und teile Ihnen hiermit mein Ergebnis mit:

Da dieses eine Musiksendung ist, fangen wir mit der Musik an. Sie hatte gestern sogar das Privileg, auf der ersten Seite zu stehen: Lenny war's zu verdanken, der so unerwartet starb. Aber die taz meint, schuld war Tante Klara. Die habe nämlich ihr Klavier bei der Verwandtschaft untergestellt, und Lenny begann zu spielen. Zu viel? „Immer wollte er alles ein bißchen zuviel“, so im Text neben dem Bild des dirigierenden späten Bernstein, „und dafür liebten wir ihn.“ Über Lennys Liebesleben ist dann im Hauptartikel zu lesen: „Er konnte nie genug kriegen. Er trank, liebte die Frauen — und man sagt auch die Männer — und rauchte 100 Zigaretten am Tag.“ Das alles findet sich in der Rubrik „Internationales“. Avancierte Kultur könnte man das vielleicht nennen. [...]

Die taz berichtete gestern auch, wie Beethoven taub geworden ist. Nicht durch Syphilis oder durch übermäßigen Alkoholkonsum, sondern durch Rheuma, immerhin durch ein seltenes Rheumaleiden. Der Amateurcellist und Rheumatologe Tom Palfermann hat das durch zehnjährige Beschäftigung mit den Briefen Beethovens herausgefunden.

Zur Politik. Die taz hat einen neuen Begriff für die Politik in Brandenburg gefunden: Ampelkoalition „Rot-Gelb-Grün“. Das gibt einen doppelten Punkt für Phantasieleistung. Zwei Seiten weiter ein erhellendes Interview mit einem Vertreter der Deutschen Biertrinker Union, die in Brandenburg nicht einmal die Promillegrenze erreicht hat, die sie fürs Autofahren für zulässig und angemessen hält. „Zum Beispiel“, so der Vertreter „fordern wir eine Verbesserung der Gaststättenkultur, die Aufhebung der Polizeistunde, subventionierte Bierpreise und die 0,6-Promille-Grenze für Autofahrer. Ein Programm, das aufs Bier gerichtet ist.“ Und später: „Es geht uns nicht mehr ums Bier, sondern um Besseres. Wir wollen kein hemmungsloses Saufen.“ Immerhin: 3,4 Promille holten sie in Brandenburg. In Thüringen hat die taz die zweitstärkste Partei ausgemacht, auch das steht woanders nicht. Es waren die Nichtwähler, mit 30 Prozent. Das gibt wieder einen Punkt.

Zum Sport. Da finden sich magere 19 Zeilen in augenpulvriger Sechs- Punkt-Schrift über ein Qualifikationsspiel der Damen-Fußball-Nationalmannschaft, das die deutschen Frauen mit 4:0 gewannen. Daneben dann ein Vierspalter über Schalke04, eine Männermannschaft, und was für eine. Zitat: „Die Mannschaft um diesen Libero mit den beiden Sowjetsternen und dem beinharten Egon Flad von St.Pauli, ist für die Zweitklassigkeit viel zu stark. Das wissen auch die Fans...“ Ist es da verwunderlich, wenn eine Frau aus Hamburg in einem Leserbrief schreibt (wenn auch zu einem anderen Artikel): „,Er‘, ,der Autor‘, ,der Schriftsteller‘, ,der Diskussionsleiter‘, ,der Kritiker‘, ,der Leser‘, ,der Verwaltungsangestellte‘ ...muß ich mir das immer noch bieten lassen, Herr Buch, lauter Herren und Ihre Herrensprache?“

Ja, und dann die Seite des Telecommander, die Medienseite. Thema Erotik und Tutti Frutti. Die taz zitiert in einem Bericht über die Münchener Medientage den Schriftsteller Gabriel Laub, Experte für Sex: Tutti frutti sei „bestensfalls als Anatomieunterricht für ganz junge Männer oder als Erinnerungshilfe für Alte zu gebrauchen und außerdem noch schrecklich langweilig. Für eine unterprivilegierte Minderheit habe Tutti Frutti jedoch eine wohltätige Funktion, nämlich Hilfe für die Ärmsten der Armen, die sich beim Onanieren noch nicht einmal eine nackte Frau vorstellen könnten.“

Die taz wagt etwas, die taz berichtet über Tabus, und ihr fällt ein und auf, was anderen nicht auf- und einfällt. Gerade wegen solcher Kuriosa und Widersprüche kann sie einem auch lieb sein, die Zeitung, die einmal aus dem Untergrund kam. Friedrich Spangemacher, gelesen in der „Morgenmusik“ am 17.10.90 auf SR2/Studiowelle Saar

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