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„Reis kriegen wir nur am anderen Flußufer“

Hunderttausende von Liberianern sind auf der Flucht vor dem Bürgerkrieg/ Wer im Land bleibt, wird von der UNO nicht als Flüchtling anerkannt und bekommt keine Hilfe/ Während die Bauern in Guinea, Sierra Leone oder der Elfenbeinküste auf Frieden warten, verfällt Liberias Landwirtschaft  ■ Aus Nimba Peter Labbé

Mamadou Kromah fühlt sich bereits wie ein Alteingesessener. Schon im Januar flüchtete er aus Karnplay in der liberianischen Provinz Nimba County nach Danané in der grenznahen Waldregion der benachbarten Elfenbeinküste. Seine Volksgruppe, die moslemische Minderheit der Mandingos, war in das Kreuzfeuer zwischen liberianischen Regierungssoldaten und Rebellen der „National Patriotic Front“ (NPF) geraten.

Die Gio und Mano-Völker, aus denen sich die NPF rekrutiert, sind mit den Mandingos verfeindet. „Aber hier kommen wir mit den Gio- und Mano-Flüchtlingen einigermaßen aus“, sagt Mamadou. „In der Elfenbeinküste achtet man darauf, daß unser Krieg nicht dorthin getragen wird.“ Mit gutem Grund, denn die am Bürgerkrieg hauptsächlich beteiligten Völker — Mano, Gio, Krahn und Mandingo — sind auch in der Elfenbeinküste vertreten. Ohne die Sympathie der dortigen Regierung wäre es aber kaum möglich, daß ein Rebellenvertreter — an seiner NPF- Schirmmütze leicht zu erkennen — unter den Flüchtlingen Rekruten anwirbt. Hier in Danané bekommen alle Flüchtlinge gleichermaßen Reis und andere Nahrungsmittel zugeteilt, wobei die lokalen Behörden sich ihren Anteil zu sichern wissen.

Schwieriger ist die Lage der liberianischen Flüchtlinge im nördlichen Nachbarstaat Guinea, vor allem seit dessen Engagement in der ECOMOG, der Friedenstruppe der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft. Die entlang der Grenze zu Liberia massierten ECOMOG- Soldaten verdächtigen die Flüchtlinge als „NPF-nah“ und setzen ihnen zuweilen hart zu. Der „kleine Grenzverkehr“ ist durch beiderseitige Hinterhalte zum Erliegen gekommen. Auch die Versorgung der Flüchtlingslager aus der drei Lkw-Tage entfernten guineischen Hauptstadt Conakry ist wegen überschwemmter oder eingestürzter Behelfsbrücken öfters unterbrochen.

Katastrophale Verhältnisse entstanden während der jüngsten Flüchtlingswelle aus Liberia: Etwa hunderttausend Menschen flüchteten aus der liberianischen Hauptstadt Monrovia nach Sierra Leone, und Mitglieder des Krahn-Volkes — dem der getötete Präsident Samuel Doe angehörte — verließen ihre Heimat im Osten Liberias und gingen über die Grenze nach Tabou und Touleplou in der Elfenbeinküste. Mittlerweile sind mehr als 400.000 Liberianer, die nach Guinea, Sierra Leone oder in die Elfenbeinküste gelangten, als Flüchtlinge registriert.

Ihnen kann das UN-Flüchtlingskommissariat UNHCR mit Nahrungsmitteln und Notunterkünften helfen. Die UNO tut aber nichts für die Bevölkerung Monrovias, die mit Hunger und Cholera zu kämpfen hat, und ebenso wenig für das Viertel der 2,4 Millionen Liberianer, das innerhalb des Landes vertrieben oder geflohen ist. Denn gemäß der UNHCR- Charta wird man nur dann als Flüchtling anerkannt und unterstützt, wenn man ins Ausland geflohen ist.

Flüchtlinge im eigenen Land können bestenfalls die Unterstützung solcher UN-Organisationen erwarten, die mit Zustimmung der eigenen Regierung im Lande selbst aktiv sind. Als Doe-Soldaten im Juni Hilfesuchende verschleppten und ermordeten, die sich auf UNO-Gelände in Monrovia befanden, zog die UNO alle ihre Vertretungen aus dem Land ab: vom Entwicklungsprogramm (UNDP) und dem Welternährungsprogramm (WFP) über die Nahrungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) bis hin zur Kinder- (UNICEF) und Erziehungsorganisation (UNESCO).

Seitdem kümmern sich nur nicht- staatliche Organisationen wie der „Catholic Relief Service“ und „Medecins Sans Frontières“ mit ihren begrenzten Mitteln um Hunderttausende von Hungernden und Kranken. Währenddessen wartet die UNO auf eine ihr als Vertragspartner vorgeschriebene handlungsfähige Regierung, die Sicherheitsgarantien übernimmt. Eine solche Regierung gibt es in Liberia aber nicht. Die vier Fraktionen des bereits zehn Monate andauernden Bürgerkrieges sind so verfeindet, daß zur Zeit nicht einmal an Verhandlungen auf neutralem Terrain zu denken ist.

Statt dessen verschanzen sie sich in den von ihnen gehaltenen Stadtteilen und beschießen sich zuweilen mit schwerer Artillerie. Einige hundert Überlebende der regulären Armee halten sich weiterhin um den Regierungssitz des erschossenen Präsidenten Doe herum verschanzt. Ihr Todfeind, Charles Taylors NPF, machte ihnen vor kurzem zwar überraschend ein „Koalitionsangebot“, doch dem mißtrauen sie. Die NPF sucht Unterstützung gegen den Doe-Mörder Prince Johnson — den Taylor einstmals aus der NPF ausschloß — und gegen die ECOMOG-Truppen, mit denen sich Johnson in der Hoffnung auf politische Anerkennung verbündet hat.

Die Truppen von Taylor und Johnson liefern sich heftige Kämpfe um den Mount Coffee. Wer von dort aus den benachbarten, zwanzig Kilometer außerhalb von Monrovia gelegenen Staudamm kontrolliert, hat die Strom- und Trinkwasserversorgung für die Überlebenden in der Hauptstadt in der Hand. Waffenstillstandsverhandlungen zwischen den beiden Kontrahenten fanden wegen Johnsons Morddrohungen gegen Taylor gar nicht erst statt.

Auch die Unterstützer im Hintergrund — Nigeria, das die ECOMOG-Truppen anführt, und Burkina Faso, das hinter Taylor stehen soll — brachten noch keine Gespräche zustande. Eine für das vorletzte Wochenende angesetzte Dringlichkeitssitzung der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft, die in der Elfenbeinküste stattfinden sollte, platzte wegen zahlreicher Absagen.

Statt dessen wird weiter aufgerüstet: Seitdem Nigeria den Befehl über die ECOMOG-Truppen von dem ghanaischen General Quainoo übernommen hat, stockte es die Eingreifarmee um 3.000 auf nunmehr 9.000 Soldaten auf. Immer wieder fliegen die noch vor zwei Monaten von der Bevölkerung als Friedensbringer begrüßten ECOMOG-Eingreiftruppen Luftangriffe auf die Stellungen der NPF — obwohl gerade dort zehntausende von Westafrikanern unter menschenunwürdigen Bedingungen als Geiseln gehalten werden.

Die weiterhin in Monrovia eingeschlossene Zivilbevölkerung — auch nach vielen verzweifelten Ausbruchversuchen befinden sich immer noch schätzungsweise 100.000 Einwohner in der Stadt — ist darauf angewiesen, hin und wieder ein paar Säcke Reis von den ECOMOG-Truppen zu erbetteln. Vor Monaten wurde die Strom- und Wasserversorgung gekappt. Seither grassiert Cholera in den Slums und in den Flüchtlingslagern bei der US-Botschaft und am Freihafen.

Immer wieder gelingt es Tausenden von Städtern, die zu denselben Völkern wie die Rekruten der NPF gehören, in tagelangen Fußmärschen ihre zum Teil zerstörten Heimatdörfer in der Provinz Nimba zu erreichen. Dadurch verschlechtert sich dort die Versorgungslage, während in anderen Landesteilen ganze Provinzen, beispielsweise Bong County, wie ausgestorben scheinen. Für den Wanderhackbau abgebrannte Waldflächen werden wieder vom Busch verschlungen, denn die Bauern haben ihr Land kurz vor der Aussaat verlassen, um sich in Sicherheit zu bringen. Nun hoffen sie in irgendwelchen Flüchtlingslagern auf bessere Zeiten. Doch ohne Anbau während der im Oktober zu Ende gegangenen Regenzeit werden sich nächstes Jahr die Versorgungsprobleme potenzieren.

Wenn sich Bauern nach Monaten im Exil doch zur Rückkehr in ihre Dörfer entschließen, um ihr Land zu bestellen, können sie die Arbeit nicht umstandslos wieder aufnehmen. „Zum Roden für Hügelreisanbau ist es wegen der Regenzeit längst zu spät. Und für Sumpfreis- und Gemüseanbau sind weder Saatgut noch Hacken aufzutreiben. Nicht mal Buschmesser gibt es jetzt zu kaufen“, berichtet der Bauer Saye Twayen, der aus einem Lager in der Elfenbeinküste zurück in sein NPF-kontrolliertes Dorf kam. „Eigentlich wollte ich meine Familie nachholen, um Reis und Maniok fürs nächste Jahr zu pflanzen. Aber ohne die Verpflegung, die sie drüben erhält, kommen wir nicht über die Runden.“ Indem die Bauern aus dem Exil zurückkehren, verlieren sie die internationale Anerkennung als Flüchtlinge und damit auch die Hilfe des UNHCR, die sie in Liberias Nachbarstaaten erhalten konnten.

Nur zwei Kilometer von dem Fluß, der die Grenze zwischen Liberia und Guinea bildet, liegt die Leprastation Ganta. Mit Tierhaltung und Anbau von Nahrungsmitteln konnten die Kranken selbständig durchhalten, bis eine NPF-Einheit schließlich alles Eßbare stahl, von Maniokknollen bis zu Zugochsen und trächtigen Säuen. Trotzdem wollen die Kranken Liberia nicht verlassen, sondern bleiben und ihre Landwirtschaft neu aufbauen — wenn das UNHCR in Guinea sie nicht für solche Selbsthilfe bestraft. Schwester Brigitte, die irische Nonne der Leprastation: „Reis für Flüchtlinge erhalten wir nur, wenn wir auf der anderen Flußseite sind, hat mir der UN-Vertreter in N'zérékoré gesagt. Dabei hatte ich schon die NPF-Garantie für einen freien Transport bekommen. Aber nach den UN-Richtlinien sind wir nicht förderungswürdig, wenn wir uns hier selber weiterhelfen wollen.“ Sie schüttelt den Kopf: „Ja soll ich denn mit meinen 400 Kranken in den Fluß springen und schauen, wer drüben ankommt?“

Die FAO unterhält seit kurzem ein Reisanbauprojekt für Flüchtlinge, doch nur in der Elfenbeinküste, weil keiner der vier Präsidenten Liberias eine akzeptierte Regierung vorweisen kann. Der UN-Koordinator für Liberia, Michael Heyn, sondiert nun, ob über den Interimspräsidenten Sawyer und mit Sicherheitsgarantien von NPF-Chef Taylor ein Notfalleinsatz möglich ist. Das wäre ein diplomatisches Meisterstück.

Für Mamadou Kromah in Danané stellt sich dieses Problem nicht mehr. „Ich als Mandingo kann unser Haus und unsere Farmen in Karnplay sowieso abschreiben. Wieder zurück nach Liberia zu gehen, das wäre ja Selbstmord.“

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