: Immer nur Probleme
■ Science-fiction-Fans der Ex-DDR versammelten sich zu ihrem ersten Kongreß
Professor Herrmann — allgemein Archenhold-Herrmann genannt, Direktor der gleichnamigen Sternwarte und des Zeiss- Großplanetariums am S-Bahnhof Prenzlauer Allee — stand augenkneifend in einer Ecke und beobachtete wohlwollend die Horden von kontaktfreudigen SFologen, die für drei Tage seinen silberglänzenden Gugelhupf okkupiert hatten. In dem lasergestützten Illusionsbunker hatte eine eingeschworene Schar von Freunden der utopischen Literatur beschlossen, sich den Schierlingsbecher zu kredenzen.
Noch einmal, und nun zum endgültig letzten Mal, stand man raunend in kleinen Grüppchen, rekapitulierte die scheußliche Vergangenheit und die fiese Verlagspolitik, die einem aber auch überhaupt keine Chance für seine kleine Geschichte mit Dieter, dem Raumfahrer gelassen hatte, begrüßte sich mit Handschlag und Hallo (man kannte sich noch aus der Zeit an der Technischen Hochschule in Ilmenau) und tauschte sein letztes farbiges Gemälde von den Wundern der Sternenwelt gegen ein Buch von Eberhard del Antonio (Die Rückkehr der Vorfahren). Die DDR verabschiedete sich mit der Zukunft. Obwohl sie gerade für die noch nie viel übrig hatte.
Aus der ganzen ehemaligen DDR war man angereist, ebenso aus dem ehemaligen Bundesgebiet, Polen und der UdSSR. Science-fiction- Fans sind ein eigenartiges Völkchen — sie reisen von Con zu Con (Kongreß), freuen sich, wenn sie immer dieselben Leute treffen, und halten Vorträge über das, was sowieso schon jeder wußte. Sicher hatte man in der DDR in der utopischen Literatur einiges aufzuholen, denn außer der Anthologiereihe Lichtjahr gab es keine Sparte, die sich mit SF oder Fantasy beschäftigte. Fanpublikationen zu drucken war gleich ganz unmöglich. Doch jetzt darf sich die DDR aufgenommen fühlen in die Reihen der Freunde von Marion Zimmer Bradley und Frodo, dem kleinen Hobbit.
Im Vorraum, zwischen Vitrinen mit der Geschichte des Fernrohrs, waren etliche Stände aufgebaut. Links Malereien, Plakate, CDs; rechts Bücher, Hefte, Ankündigungen; dazwischen Fankontaktecken; darüber wichtige Ansagen, wann die nächste Diskussion beginnen würde. Die Diskussion und der Vortrag bestimmten das Bild dieser drei Tage. Unterhaltung wurde als nebensächlich betrachtet. Dazu kamen Lesungen mit Autoren, die nur selten Spannung versprachen. Die Autoren: sie mußten sich von einem Westlektor sagen lasen, daß sie in der DDR wie in einem Paradies gelebt hätten: Ihr ward ja wie die Maden im Speck! Nun, das konnten sich die Schriftsteller nicht gefallen lassen, immerhin hatten der Kulturbund der DDR und der Schriftstellerverband eine eigene Sektion schreibender Phantasten nie zugelassen. Und das war ganz schön bitter. So schmunzelte man zu den Worten des Lektors von Moewig: Was, die Autoren in der BRD konnten nicht davon leben?
Die Autoren in der DDR konnten es, und sie konnten gut. Als dann der Preis für die beste SF-Literatur in der DDR der Jahre 1988/89 — der »Traumfabrikant« — verliehen wurde und ein Lektor vom Verlag Neues Leben (zuständig für SF in der DDR) die Laudatio für den Preisträger verlas, erwies es sich, daß man nicht richtig zugehört hatte kurz zuvor. Innerhalb kürzester Zeit, so hieß es, würde man mit den qualitätsvollen SF-Autoren aus der DDR die momentane Talsohle der Verlage überwinden und mit ihnen einen Beitrag zur Bewußtseinsbildung und zur ökologischen... Von Unterhaltung war wiederum kein Wort zu hören. Immer nur Probleme. Am letzten Tag, so hoffte ich, sollte es noch einmal spannend werden; inmitten aller Redner: Siegmund Jähn aus Morgenröthe-Rautenkranz, der erste Deutsche im All, Generalmajor der NVA, Doktor der Militärwissenschaften, wollte in einer Talkshow plaudern kommen. Doch er kam nicht, und so mußte der Chef des Hauses — Archenhold-Herrmann — sich mit einem Fan auf dem Podium begnügen und über Wissenschaft und Wissenschaftsgeschichte referieren. Volker Handloik
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