: Outplacement: Der sanfte Rausschmiß von Managern
Ein neuer Service für entlassene Führungskräfte: An perfekt inszenierten Scheinarbeitsplätzen können abgeschobene Chefs ihre weitere Karriere managen ■ Von Thomas Gesterkamp
Nicht jeden veränderungswilligen Spitzenmanager verfolgen die „Headhunter“, die ihren Kandidaten angeblich selbst auf dem Golfplatz keine Ruhe gönnen. Gekündigte Unternehmensleiter, die nicht von selbst woanders unterkommen, können sich neuerdings einer „Outplacement“-Agentur anvertrauen. Immer mehr Firmen nehmen diesen Service in Anspruch, wenn sie einen höheren Mitarbeiter elegant verabschieden wollen. Spezialisten für den sanften Rausschmiß umsorgen die ehemalige „Führungskraft“ während der Suche nach einer neuen Stelle. Sie helfen ihr, den Entlassungsschock zu verarbeiten und neues Selbstbewußtsein zu entwickeln.
Auf Wunsch bauen sie gar eine perfekte Kulisse. Am einem eigenen Schreibtisch darf der geschaßte Manager, meist in den Räumlichkeiten der Agentur, seiner Ersatzsekretärin Arbeitsgesuche diktieren, Datenbanken abrufen oder per Telefon alte Kontakte auffrischen. Erfahrene Betriebspsychologen muntern ihn auf und simulieren Bewerbungsgespräche. Nur einen Arbeitsplatz besorgt die Agentur nicht, sie versteht sich lediglich als Helfer bei der Stellensuche.
Für diese ungewöhnliche Dienstleistung zahlt nicht der neue, sondern der alte Arbeitgeber. Die Firma, die dem leitenden Angestellten gekündigt hat, finanziert ihm die Vorbereitung auf einen anderen Job zusätzlich zur Gehaltsfortzahlung oder Abfindung. Die sanfte Landung auf der Straße hat freilich ihren Preis. Bis zu zwanzig Prozent des letzten Jahresbruttoeinkommens verlangen die Outplacement-Agenturen, mindestens aber um die 20.000 Mark. Vor allem Großunternehmen sind dennoch bereit, diese Summen zu zahlen: als „eine Investition in den Betriebsfrieden“, glaubt Eberhard von Rundstedt, Chef der Düsseldorfer Outplacementfirma Drake Beam Morin (DBM). Negativpropaganda von enttäuschten Mitarbeitern kratze am Image, heißt es im Werbeprospekt von DBM. „Fair play“, wie es eine andere Agentur nennt, spielen die Konzerne allerdings nur in der Chefetage. Noch kein kriselndes Unternehmen ist auf die Idee gekommen, Massenentlassungen abzufedern, indem es sämtliche Betroffene der Fürsorge einer Agentur übergibt — und das auch noch bezahlt. Für den Durchschnittsarbeitnehmer klingt es wie ein Märchen: Entlassung heißt nicht mehr Rausschmiß, sondern neu-deutsch-verharmlost „Outplacement“.
Einer der Gründe für die neue Behutsamkeit ist der Mangel an qualifizierten Managern, den Experten für die neunziger Jahre prophezeien. Sie raten den Firmen, ihr wichtigstes Kapital pfleglich zu behandeln: die „Human-Ressourcen“. Dazu zählen auch „verdiente Mitarbeiter“, die plötzlich nicht mehr gebraucht werden. Vielen Personalchefs gelingt es offenbar nicht, ihren Spitzenkräften rechtzeitig einen Positionswechsel schmackhaft zu machen. Wenn das Unternehmen eine Kündigung des langjährigen Vorständlers scheut, springen die Agenturen ein. Am alten Arbeitsplatz auf das Abstellgleis geschoben, puzzeln die Bosse an ihrer neuen Karriere — per Outplacement. Sie unterziehen sich Persönlichkeitstests, geben „lebensbiographische Interviews“ oder proben den harten Betriebsalltag per Psychodrama.
Nach Firmenzusammenschlüssen, wenn die Führungsebene plötzlich doppelt besetzt ist, stehen sich die Bosse besonders häufig im Wege. Weil die „Chemie“ auf der Chefetage nicht mehr stimmt, muß einer der Spitzenmanager verschwinden — oder sich in der betrieblichen Hierarchie unterordnen. DBM-Chef von Rundstedt zitiert gerne Napoleon: „Es ist besser, einen schlechten General zu haben als zwei gute.“ Das genau ist die Aufgabe seiner Agentur: einen fähigen, aber etwas altmodischen „General“ beim Verlassen des „Schlachtfeldes“ zu begleiten.
Schließlich darf die Familie nichts merken, der Alltag muß weitergehen. Was sollen die Nachbarn denken, wenn der Mercedes plötzlich tagsüber vor der Tür steht? Jeden Morgen fährt unsere Führungskraft deshalb, wie eh und je, mit dem (jetzt von der Agentur gestellten) Dienstwagen in „sein“ Büro. Zur gewohnten Zeit um halb acht verläßt sie das Villenviertel und murmelt zum Abschied etwas von der Frühmaschine nach Paris. Pünktlich um sechs ist der Ex-Topmanager mit seinem Aktenkoffer wieder zu Hause — statt in Frankreich war er an seinem Scheinarbeitsplatz um die Ecke. Ein unrealistisches Szenario? DBM-Geschäftsführer von Rundstedt kennt durchaus Fälle, „wo die Ehefrau keinen blassen Schimmer hat“. Doch das sei eher die Ausnahme. „Gerade in dieser Situation kann ein stützender Partner eine große Hilfe sein.“ Zum ersten Gespräch in der Agentur laden die DBM-Berater deshalb gezielt auch die besseren Hälften ein. Von Rundstedt weiß warum: „Ein gepflegtes Äußeres“ und „vernünftige Ernährung“ seien während der Jobsuche besonders wichtig. Die Gattinnen könnten helfen, indem „was Ordentliches auf den Teller kommt“.
Fürwahr komfortabler als der Alltag eines Arbeitslosen, der seiner Frau ebenfalls eine schlechte Komödie vorspielt! Seine Outplacement- Agentur heißt Spielothek, Pornokino oder Stehimbiß [nana, quod esset demonstrandum, d. s-in]. Von den fast hundertprozentigen Erfolgsquoten, die die Rausschmiß-Experten für sich reklamieren, können die Vermittler in den bundesdeutschen Arbeitsämtern nur träumen. Welcher wegrationalisierte Stahlwerker gibt schon ein Persönlichkeitsprofil in Auftrag — und bekommt es wohlwollend von Mannesmann spendiert?
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