: Die Schweiz auf dem Weg in die EG?
■ Wirtschaftsmagazine lancieren Volksabstimmung über die verdrängte Jahrhundertfrage — den Beitritt zur EG
Basel (taz) — Schon das Verfahren ist eigentlich eine politische Sensation: Keine politische Instanz, nicht Regierung oder Parlament, nicht eine Partei oder Bürgerinitiative, sondern Presseorgane starteten am Dienstag in Bern die Initiative für eine Volksabstimmung über eine Schicksalsfrage der Nation — den Beitritt der Schweiz zur EG. Mit ihrer „Euro-Initiative“ wollen die Wirtschaftsmagazine 'Bilanz‘ und 'Politik& Wirtschaft‘ (weitere Printmedien haben sich bereits angeschlossen) die Regierung in Bern zwingen, mit der EG Verhandlungen über einen Beitritt der Schweiz aufzunehmen. Setzen in den kommenden Monaten 100.000 Stimmberechtigte ihre Unterschrift unter die „Euro-Initiative“, muß darüber eine Volksabstimmung durchgeführt werden.
Bis vor zwei, drei Jahren waren Europapolitik und speziell die EG für die breite Öffentlichkeit der Schweiz kein Thema. Auch nach dem „Wahrnehmungsschock“, ausgelöst durch den bevorstehenden EG-Binnenmarkt und verstärkt durch die rasanten Umwälzungen in Osteuropa, folgten die politischen Entscheidungsträger in Bern weiterhin jenem helvetischen Lebensgrundsatz, der an jedem Fußgängerübergang unübersehbar vom Straßenbelag mahnt: „Warte, luege“ — abwarten und beobachten. Schließlich sind die Schweizer mit der selbstgewählten Isolation bislang gut gefahren: Sie beziehen die höchsten Löhne und bezahlen die niedrigsten Steuern. Ihr Staatshaushalt weist seit Jahren — wohl ein weltweites Unikum — einen Überschuß aus. Die Arbeitslosigkeit klebt zäh unter der Einprozentmarke. Wozu da über die Grenzen blicken? Doch eine rapide steigende Teuerungsrate, die derzeit mit etwa sechs Prozent schon fast doppelt so hoch ist wie in der BRD, wirft erste Schatten ins Paradies. Vor allem Wirtschaftskreise warnen immer lauter vor den langfristigen Folgen eines Festhaltens am „Sonderfall“ Schweiz.
Parteien, Parlament und Regierung schleichen seit Monaten um das heikle Thema wie die Katzen um den heißen Brei. „Wir machen jetzt ein bißchen Druck in Richtung Europa“, formulierte es denn auch ein 'Bilanz‘-Redakteur gestern gegenüber der taz. Thomas Scheuer
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen