: Die sanfte Tour
■ Tour de France 1991: lang, aber flach
Berlin (adn/dpa/taz) — Seit die langjährigen Zuchtmeister der Tour de France, die gestrengen Direktoren Jacques Goddet und Felix Levitan, ihren Dienst quittierten, ist die Frankreichrundfahrt zusehends zahmer geworden. Die beiden alten Herren hatten eine diebische Freude dabei empfunden, die Radfahrer über möglichst viele hohe Berge zu hetzen, sie zwischendurch mit langen Etappenfahrten zu piesacken und als Höhepunkt der Gemeinheit noch hier und da ein perfides Bergzeitfahren einzustreuen.
Diese Zeiten scheinen vorbei zu sein, und im letzten Jahr hatten Spitzenfahrer wie Pedro Delgado oder Greg LeMond bereits gejammert, daß die Strecke viel zu leicht sei und es nur sehr wenige Möglichkeiten für sie gäbe, anzugreifen und die nötigen Sekunden und Minuten zum Gesamtsieg herauszuholen. Symptomatisch für diese Entwicklung war, daß einem ordentlichen, aber nicht überragenden Berg- und Zeitfahrer wie Claudio Chiappucci aus Italien ein bei der ersten Etappe herausgefahrener Vorsprung von zehn Minuten zum zweiten Platz in der Endabrechnung reichte.
Bei der Tour 1991 wird Titelverteidiger LeMond vermutlich lauter zetern denn je, die 78. Tour de France, die am 6. Juli in Lyon beginnt und am 28. Juli in Paris endet, gerät nämlich noch sanfter. Zwar ist sie mit insgesamt 3.940 Kilometern deutlich länger als ihre letzten Ausgaben, doch nur zweimal liegt das Ziel für die Fahrer in luftiger Höhe. Insgesamt stehen drei Einzelzeitfahren auf dem Programm: Ein superlanges am 13. Juli von Argentan nach Alencon über 72 km, eine Mannschafts-Prüfung (43 km) und einen Tag vor dem Ende der Rundfahrt das Zeitfahren von Lugny nach Macon über 57 km.
Der Kurs führt von Lyon in den Norden über Dijon, Reims, Le Havre nach Rennes und Nantes. Dann folgt ein langer Flugtransfer nach Pau am Fuße der Pyrenäen. Neu ist ein Abstecher nach Spanien (Etappenort Jaca). Auf der 13. Etappe geht es über die Pyrenäenpässe Aubisque, Tourmalet und Aspin nach Val Louron. In den Alpen könnten die Tagesabschnitte nach Alpe d'Huez (17. Etappe) und Morzine (18. Etappe, über die Pässe Aravis, Colombière und Joux-Plane) schon vor dem Zeitfahren der vorletzten Etappe die Entscheidung bringen.
Gestrichen wurde der Ruhetag. Pedro Delgado, den dieser bei der letzten Tour völlig aus der Bahn warf, wird es ebenso recht sein wie etlichen anderen Radlern. Bei vielen Fahrern war der Ruhetag recht unbeliebt, weil er sie aus dem gewohnten Rhythmus brachte, andere hingegen sehnten ihn innigst herbei. Bot er doch Gelegenheit, die zahlreichen Wehwehchen zu behandeln und vor allem dem geplagten Hinterteil die wohlverdiente Pause zu gönnen. Damit ist es nun Essig, aber wer die Tour gewinnen will, muß eben seit jeher vor allem über eines verfügen: ein belastungsfähiges Gesäß. Hier ist auch das Geheimnis des dreimaligen Tour-Siegers Greg LeMond zu suchen: Dessen Allerwertesten konnte nicht mal eine geballte Schrotladung Nachhaltiges anhaben. Matti
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