: Biedenkopf als gemeinsamer Nenner
Sachsens Parteien geben sich zahm/ Bündnis/Grüne dringen bei Verfassungsfrage auf Bürgerbeteiligung ■ Aus Dresden Detlef Krell
„Wäschekörbe voll Petitionen aus der Bevölkerung“ treiben den designierten Ministerpräsidenten Sachsens zur Eile. Wie Kurt Biedenkopf nach der Konstituierung der CDU- Fraktion erklärte, will die Regierungspartei dem öffentlichen Entscheidungsdruck Rechnung tragen. Für parteipolitischen Hickhack sei „wenig Raum“ angesichts der katastrophalen Landessituation.
Über Namen im künftigen Kabinett schweigt sich die Fraktion aus. Vorerst gebe es Gespräche, und die beträfen auch „Importe“. Eine Regierungserklärung wird es am Samstag, wenn sich der Landtag konstituiert, noch nicht geben. Biedenkopf verwies auf sein bekanntes vorläufiges 6-Punkte-Programm. Zeitgleich zu lösen sei der Abbau von Investitionsblockaden, die Ablösung der alten Seilschaften in der Wirtschaft, wozu er auch die zentrale Treuhand zählt, und der Aufbau einer Regierung ohne „CDU-Vetternwirtschaft“. Den Landtag sieht er als „Denkfabrik. Ich will, daß Leute unterschiedlicher Fraktionen miteinander ins Gespräch kommen.“ Bis Samstag trifft er alle Fraktionschefs. CDU-Fraktionschef ist der Leipziger Journalist Herbert Goliasch (52).
SPD-Fraktionschef Karl-Heinz Kunckel wünscht dem sächsischen Landtag, daß er wenigstens seine ersten Gesetzesbeschlüsse, das Vorschaltgesetz und die Geschäftsordnung, im Einvernehmen aller Fraktionen faßt. Doch daraus wird wohl nichts. Ein Streitpunkt: die Inkraftsetzung des Vorschaltgesetzes, das als vorläufige Landesverfassung die Arbeitsfähigkeit des Landtages gewährleisten muß. Es soll mit einfacher Mehrheit beschlossen werden, meint die CDU-Fraktion. Sie sehe darin nicht mehr als ein Organisationsgesetz, das schnelles Handeln ermögliche und keine Fragen enthalte, die das Wesen einer Verfassung ausmachen. Die Fraktion Bündnis/Grüne ist aber mit diesem Zustimmungsgalopp nicht einverstanden. Sie verweist auf den Verfassungsstatus des Gesetzes und verlangt eine Zweidrittelmehrheit. Auch die SPD-Fraktion vertritt diese Auffassung. Hinter dem Streit um den Beschlußmodus verbergen sich wesentliche Unterschiede in den Gesetzentwürfen der Fraktionen. Bündnis/Grüne wollen bereits im Vorschaltgesetz Regelungen für Bürgerbeteiligung an der Landespolitik und für die Erarbeitung der Verfassung unter Beteiligung des Volkes verankern.
Weder im CDU- noch im SPD- Entwurf sei die Volksgesetzgebung erwähnt. Gesetzesinitiativen bleiben auf die Landesregierung und den Landtag beschränkt. Bündnis/Grüne setzen in ihrem Entwurf vor die Parteienschiene das Volksbegehren. Wie die Fraktion auf ihrer Pressekonferenz mitteilte, will sie nach Inkrafttreten des Vorschaltgesetzes eine öffentliche Verfassungsdiskussion in Gang setzen und alle Haushalte mit Verfassungsentwürfen versorgen. Ein vorläufiges Landesverfassungsgericht wäre nach Auffassung der Bürgerbewegungen ebenso notwendig wie eine paritätische Kommission, die über Einstellungen im Öffentlichen Dienst wacht.
Für Unmut sorgt eine Änderung der Geschäftsordnung, wonach die CDU nicht nur den Landtagspräsidenten stellt, sondern auch, neben der SPD, einen Vize. Dennoch haben alle Fraktionen den Wunsch, „Gezänk zu vermeiden und konstruktiv zu arbeiten“. Das bestätigt auch PDS-Sprecher Uwe Grühn. Seine Fraktion werde Regelungen verlangen, um Neonazi-Aufmärschen wie jüngst in Dresden zu begegnen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen