: Grausam: Zu Weihnachten gibt's zu wenig Geschenke
■ Aber nur im Westen, weil der Handel bevorzugt nach Ostdeutschland liefert
Hamburg (dpa) — Die Vereinigung Deutschlands wird dem Einzelhandel ein Weihnachtsgeschäft wie nie zuvor bescheren — wenn die Produzenten auch ausreichend liefern können. Neben der ungebrochenen Konsumfreudigkeit in der alten Bundesrepublik bekommt der Handel zusätzliche Impulse aus den fünf neuen Ländern mit ihren gut 16 Millionen potentiellen Kunden. Der Nachfragesog mit der Einführung der D-Mark in der DDR im Juli hat aber bei einigen Produkten bereits zu Lieferengpässen geführt. Dies geht aus einer 'dpa‘-Umfrage hervor.
So geben Geschäftsführer großer Kaufhäuser schon jetzt zu, daß bis zum Weihnachtsfest viele Artikel nicht lieferbar sein werden. Der Sprecher eines Freiburger Kaufhauses meinte sogar: „Dieses Jahr graust uns vor den Feiertagen, wir werden viele Wünsche nicht erfüllen können.“ Bestellungen können nicht mehr eingehalten werden.
Was derzeit schon knapp ist und in Kürze noch knapper werden dürfte, sind vor allem Elektrogeräte im Haushaltsbereich vom Toaster bis zur Mikrowelle, Haartrockner, Computerdisketten, Video-Software bis hin zu Spielen. Transistorradios und Kassettenrekorder haben ebenfalls inzwischen ungewöhnlich lange Lieferzeiten. Dasselbe gilt für Bestecke und Porzellan.
Außerdem sind die Lieferzeiten für Möbel im Handel zusätzlich länger geworden. Seidenblusen werden inzwischen ebenfalls im Westen knapp.
Es gibt aber auch noch andere kleine Dinge des täglichen Lebens die rar werden. Dazu gehören Strumpfhosen und Kochtöpfe.
Besonders eng — so geht aus der 'dpa‘-Umfrage hervor — wird es bei Farbfernsehgeräten und Videorecordern, da die Bürger in den fünf neuen Bundesländern zunehmend Markengeräte kaufen.
Auch bei einigen Kindern sind zu Weihnachten lange Gesichter und Tränen angesagt. Ein Aachener Süßwarenhersteller kommt bei der Produktion von Schokoladennikolausen nicht mehr nach, weil ihm die Folie zum Einpacken ausgegangen ist. Der Geschäftsführer des Kölner Einzelhandelsverbandes, Thomas Raeder, kann sich deshalb auch vorstellen, daß die süßen Weihnachtsmänner in einigen Geschäften Mangelware werden.
Bei Spielzeug kann es mancherorts ebenfalls eng werden. Zwar ist das Weihnachtgeschäft „super“ angelaufen, hieß es bei der Vedes e.G. (Nürnberg), Europas größter Handelsgruppe für Spiel und Freizeit. Da die Spielwarenindustrie aber große Mengen in die ehemalige DDR bringe, werden Lieferengpässe nicht ausgeschlossen. Die der Vedes angeschlossenen Händler wurden bereits in einem Rundschreiben aufgefordert, so früh wie möglich zu ordern.
Auch der Versandhandel erwartet ein Bombengeschäft zu Weihnachten. Detlev von Livonius, Sprecher des Hamburger Otto Versands: „Die Nachfrage sprang schon zum Jahresbeginn an, wir haben seitdem eine sehr lebhafte Binnenkonjunktur. Durch die fünf neuen Bundesländer wird dieser Trend noch verstärkt; im Weihnachtsgeschäft erwarten wir ein zweistelliges Umsatzplus gegenüber dem Vorjahr.“ In einzelnen Segmenten könne es zu Lieferengpässen kommen, weil die Kapazitäten des produzierenden Gewerbes nicht beliebig erweitert werden können, sagte von Livonius.
Der Sündenbock für die Lieferengpässe in vielen Bereichen ist vom Handel bereits ausgemacht. Der Einzelhandel in den neuen Bundesländern werde jetzt von deutschen und vielen ausländischen Lieferanten zuerst oder besser als noch vor Wochen bedient, damit die Branche dort ihren Fuß in die Tür bekomme, hieß es. Ein Stuttgarter Einzelhändler: „Die Hersteller wollen jetzt zuerst einmal ihre neuen Kunden im Osten Deutschlands bedienen. Eigentlich haben sie ja recht, denn die Kundschaften in der früheren DDR soll auch mal die Möglichkeit haben, zu Weihnachten den Konsumrausch voll zu genießen.“
Aber ein Hamburger Einzelhändler hat auch Trost auf Lager: „Jeder, der das nötige Geld hat, wird seinen Weihnachtswunsch verwirklichen können; wenn nicht im ersten Laden, dann im zweiten.“
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