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Licht auf die Schattenseite des Wirtschaftens

Grüne wollen in neuem Gesetz der Wachstumsideologie ökologische Prioritäten entgegenstellen  ■ Aus Bonn Gerd Nowakowski

Die „Schattenseite des Wirtschaftens“ nennt der Berliner Wissenschaftler Christian Leipert das volkswirtschaftliche Phänomen, das vor allem ein bilanztechnisches Blackout darstellt. Wenn die deutsche Holzindustrie über jährliche Milliardenverluste durch das Waldsterben klagt, so taucht das ebensowenig in einer Bilanz auf wie die geringeren Fischereierträge durch die Nordsee-Verschmutzung. Dafür aber steigern jährlich zwei Millionen Verkehrsunfälle und die wachsende Zahl von umweltbedingten Erkrankungen die Umsätze von Auto- und Pharmakonzernen. Die schlichte Weisheit, daß das Bruttosozialprodukt den Wohlstandszuwachs der Gesellschaft zeigt, hat nie gestimmt. Denn die negativen Folgekosten unserer zerstörerischen Produktionsweise mit ihrem Raubbau an unseren natürlichen Lebensbedingungen werden darin überhaupt nicht erfaßt. Bereits heute werden diese negativen Kosten auf jährlich rund 200 Milliarden Mark geschätzt — das ist ein Achtel des Bruttosozialprodukts.

Licht auf die Schattenseite unseres Wirtschaftssystems zu werfen, ist das Ziel eines Gesetzentwurfs der Grünen, der gestern im Bundestag beraten wurde. Das geltende „Stabilitäts- und Wachstumsgesetz“ von 1967 mit seiner Wachstumsideologie soll von einem neuen „Grundgesetz“ für eine „umwelt- und sozialverträgliche Wirtschaftsentwicklung“ abgelöst werden.

Der grüne Entwurf formuliert einen fünf Punkte umfassenden Zielkatalog: Bewahrung und Erneuerung des ökologischen Gleichgewichts, Beschäftigung für alle bei gleicher Teilhabe von Frauen und Männern, eine gleichmäßigere Einkommens- und Vermögensverteilung und — bereits im alten Gesetz enthalten — Preisstabiliät und außenwirtschaftliches Gleichgewicht.

Gestrichen werden soll nach Vorstellung der Grünen vor allem das Dogma „stetiges Wachstum“. Eine ökologische Wirtschaftspolitik ziele auf eine „selektive Wachstums- und selektive Schrumpfungspolitik“, verdeutlicht Wolfgang Bayer, Mitarbeiter der grünen Bundestagsfraktion. Mittelfristig sei zwar auch eine positive Beschäftigungswirkung zu erwarten, doch manche Umweltziele seien eben nur durch „sektorale Schrumpfungsprozesse mit Arbeitsplatzverlusten erreichbar“.

Das hohe Ziel möchten die Grünen mit einem ganzen Bündel von Maßnahmen erreichen:

—Die Bundesregierung soll mittelfristige ökologische Rahmenpläne mit Zielvorgaben vorlegen, mit denen Schadstoffe reduziert, umweltbelastende Abfälle vermieden und natürliche Ressourcen sparsam verwendet werden sollen. Die Rahmenpläne sollen auch einen sozialverträglichen Abbau umweltzerstörender Produktionen regeln.

—Ein Jahreswirtschafts- und Umweltbericht der Bundesregierung soll die Entwicklung der ökologischen Folgekosten enthalten. Auch die Wirtschaftsweisen sollen sich das hohle Ritual der jährlichen Wachstumsprognosen abschminken und die Gesamtentwicklung unter Einschluß der ökologischen Entwicklung prognostizieren.

—Ein Jahresbericht soll die Entwicklung von Armut und Reichtum in der Bundesrepublik dokumentieren. Die Bundesregierung wird aufgefordert, einen mittelfristigen Plan zur Überwindung der Erwerbslosigkeit entwickeln.

—Eingerichtet werden soll ein „Wirtschafts- und Sozialrat“ mit Vertretern von Bund und Ländern sowie Gewerkschaften und Umweltverbänden.

Daß mit dem alten „Stabilitäts- und Wachstumsgesetz“ kein Blumentopf mehr zu gewinnen ist, wird bis in das Unionslager hinein vertreten. Neue Koalitionen wurden auch bei einem von den Grünen initiierten Bundestags-Hearing zu diesen Fragen im Mai 1989 sichtbar, das Kurt Biedenkopf (CDU) nachdrücklich unterstützte. Bei der SPD-Fraktion wird der Gesetzentwurf vom Mitglied des Wirtschaftsausschusses Dietrich Sperling „grundsätzlich begrüßt“. Unterstützt wird die Forderung nach einem Umwelt und Ökonomie verzahnenden Jahresbericht der Bundesregierung. Die sozialpolitische Zielsetzung aber wird als „sehr ehrgeizig“ beschrieben, wobei insbesondere die Neuauflage der „konzertierten Aktion“ der siebziger Jahre als ungeeignet bewertet wird. Die SPD werde in der nächsten Wahlperiode einen eigenen Gesetzesentwurf einbringen, kündigte Sperling an — „möglicherweise bescheidener“. Widerstand kommt vor allem vom Gewerkschaftsflügel, der am Wachstum festhalten will. Die CDU gesteht nach den Worten ihres Abgeordneten Klaus Lippold zwar zu, daß die bisherige Bilanzierung ihre „Schwächen“ habe und die Umwelt noch stärker in den Wirtschaftsbericht einfließen müsse, doch der grüne Entwurf wird als überflüssig abgetan.

Andernorts finden die Grünen mehr Resonanz. Das Statistische Bundesamt hat bereits ein Konzept der umweltökonomischen Gesamtrechnung vorgelegt, das möglicherweise schon 1991 erste Ergebnisse liefert. In Geldwerten und auch in Schadensvermeidungskosten soll der Rohstoffverbrauch und die Qualität von Boden, Luft und Wasser erfaßt werden. Eingang finden soll auch die Strahlen- und Lärmbelästigung. Mit Hilfe eines speziellen Immissionsmodells sollen auch die ökologischen Folgen der Produktion und des Verbrauchs gemessen werden.

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