: “Deine Küßchen sind dreckig“
■ Premiere im MOKS-Theater: „Der Junge im Bus“. Ödipales Drama für Kinder ab 10.
Jeder sollte in seiner Erinnerung zurückblicken und sicher sein können, eine Mutter gehabt zu haben, die ihn liebte, alles an ihm, sogar seinen Schiß und Piß. Er sollte sicher sein, daß seine Mutter ihn liebte um seiner selbst willen und nicht der Dinge wegen, die er tun konnte. Sonst glaubt er, er habe kein Recht zu existieren. Er glaubt, er hätte niemals geboren werden dürfen. (Ronald D. Laing).
Den Schiß des Sohnes, den liebte die Mutter auch nicht. Auch nicht Birne, seine Katze, die sie ihm wegnahm. Und Richard, den Sohn, schon deshalb nicht, weil er so aussieht wie sein verkommener Vater, der sie sitzen ließ. Also wird Richard verrückt, nennt sich „Wichard“, schmiert sich Scheiße ins Gesicht, verkriecht sich in Ecken, hört Melodien und macht seiner Mutter Angst. Mit
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den Mann im Bus
12 Jahren, die Psychiater konnten nicht helfen, kauft Mutter einen Bus und besorgt eine Betreuerin. Seitdem kutschiert der Junge mit Karolien durch die Welt.
Kindertheater im Bus: Das macht doppelt Sinn. Das MOKS-Theater, derzeit ohne Bühne, hat einen Notspielort gefunden, und „Der Junge im Bus“ ist von der Niederländerin Suzanne van Lohuizen tatsächlich für den Bus geschrieben worden. Außen dran steht „Sonderfahrt“, innen ist alles blau. 27 Kinder haben Platz, sitzen auf Bänken an den Längswänden. Knallt die Tür zu und der Junge (Stefan Merkelbach) stößt aus: „Ich heiße Wichard und bin verrückt“, dann wird Erwachsenen leicht klaustrophobisch. Die Kinder (empfohlen ab 10) bleiben überwiegend unerschrocken. Das beklemmende Drama des unge
Foto: Jörg Landsberg
liebten Kindes verfolgen sie gespannt und gerührt und jederzeit bereit, über neue Verrücktheiten des Jungen zu lachen. Der wiederum fühlt sich auch nur von Kindern verstanden.
In die blaue Buswelt, die sich Wichard mit Karolien (Senta Bonneval) für seine Bedürfnisse zurechtgemacht hat (Kühlschrank, Schmusekissen als Katzenersatz, Haltestangen für affenartiges Geturn), bricht regelmäßig und unerwartet das Phantom seiner Mutter (Julie Georgis) ein, schwarzes Kostüm, Hackenschuhe, das Blondhaar hochgesteckt. Mit stechend braunen Augen sagt sie die ewigen, traumatisierenden Gemeinheiten wie „Deine Küßchen sind dreckig“. Im Laufe von 70 Minuten lernt Wichard, seiner Mutter in die Augen zu sehen und sie wegzuschicken. Sie indes kommt immer wieder. In einer ödipalen Tanzszene lernt der Junge schließlich, was er mit dem Vater gemein hat: das Äußere und den Haß, den sie auf sich ziehen. „Einmal werde ich keine Angst mehr haben“, das will man ihm glauben und auch wieder nicht, wenn er sich gleich darauf in einem Winkel verkriecht und sein Spiel spielt: das Aufzählen der 713er Reihe des übergroßen Einmaleins.
Unklar bleibt unterdessen die Rolle der Karolien, eine Art Gegenspielerin der Mutter, teils erwachsen-vernünftig, teils sentimental um die Zuneigung des Jungen bettelnd. Dem Stück dient die Figur nicht. Vielleicht soll sie, — sie sucht häufig die Blicke der Kinder — diesen wie Wichard ein emotionaler Ruhepol sein.
Dem MOKS-Theater gelang mit „Der Junge im Bus“ ein mutiges Stück; Karten für die kommenden Aufführungen zu bekommen, ist jetzt schon schwierig. Leider fehlt dem Bus mit der TÜV-Plakette ein wesentliches Merkmal, die Mobilität. Denn geplant war, Schulen direkt anzusteuern. Ob es nicht in der Behörde irgendwo eine Zugmaschine gibt? Bus
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