: Betr.: Index on Censorship: Frauen brechen das Schweigen
Die ersten drei oder vier Reaktionen auf das Oktoberheft von 'Index on Censorship‘, die im Londoner Redaktionsbüro einliefen, waren Proteste und Kündigungen des Abonnements. So sehr es verwundert, daß ein der Zensur von Frauen gewidmetes Themenheft solche heftige Abwehr — bei ja meist in „Kultur- und Menschenrechtsbetrieben“ engagierten Lesern — auslöst, so entlockt doch der kämpferische Titel „Frauen brechen das Schweigen“ auch mir beinahe nur noch ein Lächeln.
Ist denn das Schweigen nicht schon lange gebrochen? Oder anders gesagt: Geht es denn noch um das Reden und nicht viel mehr schon lange um das Handeln, nicht nur in China, Indien, in den arabischen und afrikanischen Ländern?
Der „Nebenwiderspruch“, so zeigt sich hier, zieht sich durch alle Kontinente und Ideologien. Als solle es auch weiterhin nur die den Frauen abgewandte Seite der Geschichte geben, werden die Reparaturarbeiten an den sozialen Gebilden der Welt emsig ins Werk zu setzen versucht, ohne die geringste Überlegung daran zu verschwenden, ob das eine mit dem anderen nicht wesentlich zusammenhängt.
Daß es „die Frauen“ gar nicht gibt, sondern nur Frauen, die als einzelne Tochter, Mutter, Schwester, Geliebte und Ungeliebte an Männer, an ihre Freundlichkeit und institutionalisierte Verweigerungsmacht gebunden bleiben, ist die halbe Wahrheit, die sich immer nur im Kontext als ganze Lüge entlarven läßt.
Anders gesagt, nur wenn viele, wenn alle Frauen sprechen, erfahren wir, was uns einzeln und institutionell immer wieder von der Zunge wegzensiert wird: daß wir einen Teil unserer Geschichte eher in den Erfahrungen aller Frauen erkennen als in denen des Mannes neben uns. Das vorliegende Oktoberheft von 'Index on Censorship‘ tritt den Beweis dafür an, daß das Schweigen nur gebrochen ist, wenn es täglich wieder und überall von Neuem gebrochen wird. Uta Ruge
Weitere Beiträge des Oktoberheftes von 'Index of Censorship‘:
Ros de Lanerolle: Publishing against the other censorship
Jane Rule: Lesbian literature needs readers
Susan Mendus: Legal rights and freedoms
Catherin Itzin: Pornography and civil liberties
Roni Ben Efrat: Israel, Censorship by the mob
Nawal es Saadawi: Egypt, Defying submission
Ama Ata Aidoo: We were feminists in Africa first; Spanish Royal Academy must expunge Machismo
Nadia Kakurina: Russian Women and selfcensorship
Tatyana Tolstaya/ Irena Maryniak: The human spirit ist androgynous
Tatyana Bek: The gift of compassion
Senta Trömel-Plötz: Mileva Einstein-Marić — The woman who did Einstein's mathematics
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