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„Ich war nicht das Schaufenster“

■ Der albanische Schriftsteller Ismail Kadaré kehrt seinem Land den Rücken INTERVIEW

Am Donnerstag bat Albaniens berühmtester Schriftsteller, Ismail Kadaré, der sich seit einem Monat mit seiner Frau und seinen zwei Töchtern in Frankreich aufhält, in Paris um politisches Asyl. In den letzten Jahren wurden eine Reihe von Büchern Kadarés, der in Albanien trotz sich verschärfener Kritik zu den gefeierten Staatskünstlern zählte, ins Deutsche übersetzt: „Der General der toten Armee“, „Chronik in Stein“, „Die Festung“, „Die Schleierkarawane“ u.a.m.

Frage: Haben Sie die Entscheidung, ins Exil zu gehen, schon vor langer Zeit getroffen?

Ismail Kadaré: Das Bedürfnis, zu gehen, war am Anfang instinktiv. Meine Gründe kamen danach hinzu. Sie reiften in mir seit dem letzten Frühling, der ja ein Frühling der Hoffnung war. Man hatte kleine Schritte in Richtung einer Demokratisierung unternommen. Ramiz Alia (Partei- und Staatschef) hatte beispielsweise beschlossen, daß die Bauern Eigentümer eines Teils ihres Viehs werden können. Damals hatte ich mich mit Alia fast drei Stunden lang getroffen. Ich glaubte, er könne der albanische Gorbatschow werden. [...] Dann haben ihn irgendwelche Leute vielleicht davon überzeugt, daß, wenn er das Regime auch nur ein bißchen demokratisiere, alles zusammenbrechen werde. Die Atmosphäre, die in diesem Sommer während der Affäre um die Botschaften herrschte, hat mir bestätigt, daß die Versprechen einer Demokratisierung tot waren. Kurzum, ich habe jede Hoffnung verloren, von innen heraus zu einer Milderung des Regimes beitragen zu können.

Glauben Sie, daß Ihre Abreise Nachwirkungen auf die albanische Politik haben wird?

Ich gehe nicht, um Aufsehen zu erregen, auch nicht, um Unruhen zu provozieren. In Albanien wäre eine Auseinandersetzung noch tragischer als in Rumänien [...]. Ich halte die Hoffnung aufrecht, daß meine Abreise, meine Abwesenheit selbst zum langsamen Marsch der Liberalisierung beitragen werden [...]. Und dann habe ich ja meine Bücher zurückgelassen, die besser als ich für die Freiheit arbeiten werden. Sie werden in den Schulen und Universitäten studiert. Mehrere meiner Bücher reißt man sich in den Buchhandlungen aus den Händen, und sie sind in wenigen Minuten ausverkauft. Dann tauchen sie in den Bahnhöfen, auf dem Schwarzmarkt der Zigeuner wieder auf. Das Regime kann mich nicht von einem Tag auf den andern aus dem Schulprogramm streichen [...].

Sie wählten einen Zeitpunkt für Ihre Abreise, zu dem das Regime, wenn auch vorsichtig, Anzeichen einer Liberalisierung erkennen läßt.

[...] Für mich war die kommunistische Welt, die die Hälfte des Globus bedeckt, die einzig mögliche, die einzig vorstellbare. Es gab Grenzen, die waren eng und deutlich. Heute scheint es, daß diese Grenzen überschreitbar sind. Aber ich kann sie in Albanien nicht überschreiten. Also gehe ich. Ich bin Schriftsteller und werde es immer bleiben. Sagen wir, die Desillusionierung war unerträglicher als die Unterdrückung [...].

Haben Sie jemals Publikationsverbot bekommen?

Publikationsverbot, nein. Aber es gab Perioden, in denen ich von mir aus verstehen mußte, daß es besser war, nicht zu publizieren. Sonst könnte „man“ ja einem Übersetzer empfehlen, Ihr Buch nicht zu übersetzen. „Man“ könnte ja Ihre Einladungen ins Ausland einschränken.

Gibt es in Albanien eine Zensur?

Nein, eine Zensur a priori nicht. Es gibt eher eine Kontrolle des Verlags. Man bittet Sie her und sagt Ihnen: „Diese Passage muß absolut gestrichen werden.“ Dann diskutieren Sie. Die Passage wird gestrichen, aber manchmal können Sie sie dann im letzten Moment doch wieder reinbringen. Da geht es eben „mediterran“ zu.

Für den Schriftsteller beginnen also die wirklichen Probleme nach der Auslieferung des Buches?

Seit meinem ersten Buch, „Der General der toten Armee“, 1963, kritisierte man das Mitleid, das ich den Italienern, den Feinden des letzten Krieges, gegenüber zum Ausdruck brachte. Die Situation verschärfte sich dann mit „Der große Winter“, das den Bruch der albanisch-sowjetischen Beziehungen zum Thema hat. Da gab es drei Monate lang eine Pressekampagne gegen mich, organisiert von den Parteikomitees. Jedesmal, wenn meine Frau und ich ausgingen, sagten die Leute erstaunt: „Aha, sieh mal einer an, Sie sind frei?“ Niemand telefonierte mehr mit uns. Und eines Tages sagte Enver Hodscha in der Öffentlichkeit: „Aber im Grunde ist es doch gar nicht so schlecht, dieses Buch.“ Und dann war die Kampagne zu Ende.

Gab es weitere Kampagnen gegen Sie?

Ja, 1975, wegen eines Gedichtes, „Die roten Paschas“, das ich in einer Zeitschrift veröffentlichen sollte. Es ist nie erschienen. Ein Journalist der Zeitschrift hatte mich denunziert. Man behauptete, daß dieses Gedicht zum Sturz der Regierung aufrufe. Ich mußte Selbstkritik üben. Dann durfte ich mehrere Monate lang nichts publizieren. Im Westen sagte niemand auch nur ein Wort dazu, obwohl alle Botschaften Bescheid wußten. Als ich 1982 „Der Palast der Träume“ veröffentlichte, wurde ich wieder angegriffen. Aber diesmal waren sie so ungeschickt, mich öffentlich anzugreifen, und so hat der Westen reagiert.

Sie waren Mitglied der Schriftstellervereinigung. Bedeutete dies einen Schutz?

Sie hat an den Kampagnen gegen mich mitgemacht. Und der Präsident des Verbandes, Dritero Agolli, wurde selbst mehrere Male angegriffen. Einige Bücher von ihm wurden von der Kritik ignoriert. Niemand entgeht der Maschine [...] Agolli wohnt im selben Gebäude wie ich. Einmal bin ich ihm nach einer Sitzung, bei der er mich angegriffen hatte, im Treppenhaus begegnet, und er sagte mir: „Entschuldige. Ich konnte nicht anders. Man hat mich gezwungen.“

Sie waren ja Parlamentsabgeordneter.

Ja, ich war von 1970 bis 1982 Abgeordneter. Man brauchte unter all den Arbeitern, Biologen usw. Auch einen Schriftsteller. Aber das hat mich nicht gerettet, im Gegenteil. Gerade während dieser Periode wurde ich am heftigsten attackiert. Eine harte, gefährliche Periode. Nur Dummköpfe können behaupten, ich sei das Schaufenster des Regimes gewesen.

Denken Sie, daß das albanische Regime sich noch lange halten kann?

Wenn sie den Weg einer Demokratisierung gehen, können sie sich halten. Sonst nicht. Der Kommunismus hat die albanische Gesellschaft nicht wirklich tief durchdrungen. Die Albaner sind, wenn Sie so wollen, Rassisten: Für sie sind all diejenigen, die ihren Moralkodex nicht teilen, amoralisch, genau so wie für die alten Griechen alle anderen Völker Barbaren waren. Dieser Rassismus hat vielleicht im passiven Widerstand gegen den Sozialismus eine Rolle gespielt. Nachdem sie sich von den italienischen und deutschen Besatzern selbst befreit haben, bereiteten sich die Albaner das kommunistische Menü selbst und servierten es sich selbst. Die Diktaturen des 20.Jahrhunderts sind viel raffinierter und viel weiter entwickelt als die alten. Ihre schrecklichste und wirksamste Waffe besteht darin, alle zu kompromittieren, auch die rechtschaffenen Leute. Man denkt, man kämpft gegen die Diktaturen, doch objektiv hilft man ihnen. Andere wiederum glauben, man kann nichts gegen sie tun, aber sie tun sehr viel.

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