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Psychosen

■ betr.: "Das kann nur Got sein oder die CIA", Interview mit Dr. Linden, Oberarzt der Freien Universität Berlin, taz vom 24.10.90

betr.: „Das kann nur Gott sein oder die CIA“, Interview mit

Dr.Linden, Oberarzt der Psychiatrischen Klinik der Freien Universität Berlin, taz vom 24.10.90

Ich komme mehr und mehr zu der Überzeugung, daß das einzig alternative an der Tageszeitung der schlechte Lohn und die miserablen Honorare sind. Die Art und Weise, wie Dr.Linden in Eurem Interview als Experte präsentiert wird, kotzt mich an. Hinter dem verschleiernden und diskriminierenden Diagnosebegriff Psychose versucht dieser Psychiater die eindeutig gesellschaftlichen und persönlichen Motive des Schäuble-Attentäters Dieter Kaufmann in ein Krankheitsschema zu pressen.

Dann sagt dieser Mensch auch noch, gesellschaftliche und biografische Erfahrungen hätten nichts mit dem „Wahn“ zu tun. Ja was bitte schön hat dann mit dem „Wahn“ zu tun, meine Oma? Und Ihr laßt das einfach so stehen. Und dann darf dieser Mensch auch noch behaupten, daß die Behandlung von Psychosen einfach ist. Dr.Linden macht sich die sogenannte Behandlung von Ausgerasteten einfach, indem er sie mit Haldol vollknallt.

Es ist richtig, daß die Gewaltbereitschaft von ausgerasteten und verrückten Menschen deutlich geringer ist, als die von sogenannten Normalen. Dr.Linden verschweigt aber ein wichtiges Detail. Die Gewaltbereitschaft von Betroffenen nimmt nach psychiatrischer Behandlung speziell mit neurotischen Pychodrogen zu. (Vergleiche Psychiatrische Begutachtung. Ein praktisches Handbuch für Ärzte und Juristen, Hrg.: U.Venzlaff, Stutgart/New York 1986, S.178 f.) [...] Lars-Ulrich Schlotthaus, Vorstand im Forum Anti-Psychiatrischer Initiativen i.G., Berlin

„...Psychisch Kranke werden deshalb auch weniger gewalttätig ... als der Rest der Bevölkerung...“ und „...Deshalb ist..., daß psychisch Kranke weniger Menschen etwas antun als die Gesamtbevölkerung...“, oh, oh, bei solcher mehrfach apostrophierten „Erkenntnis“ (?) steht die Welt ja Kopf: „Normal ist Mord und Totschlag, d.h. das Vergasen, Vergiften, Zersprengen, Verbrennen und die/der nicht oder wenig gewaltbereite MitbürgerIn ist psychisch krank!“ Überhaupt plädiert Dr. Linden für Top-secret-Verfolgungen und will wohl die Akzeptanz dessen psychiatrisch erschließen. Sicher, jedeR Ärztin/Arzt braucht PatientInnen: Aber auf diese Weise?

Kein Mensch, besser kein System, hat das Recht, normale MitbürgerInnen zu verfolgen. Tut ein Mensch oder das System dies doch, so ist dieser Mensch oder das System, das Verfolgungen ermöglicht, psychisch destabil. Daß kein normaler Mensch vor Gott Horror hat, dürfte klar sein: Von denjenigen, die Lebenserhaltendes vernichten Horror zu haben und diese abzulehnen, gegebenfalls sogar zu bekämpfen, dies ist und bleibt ein ursprüngliches Menschenrecht und ist auch nicht psychiatrisch aus dem Hirn zu töten.

Lange, intensive Sitzungen werden erforderlich sein, um allen jenen MitbürgerInnen ihre Psychosen zu nehmen, die wegen realer Umstände entstanden und keinen halluzinogen Einflüssen zuzuschreiben sind. Natürlich werden solche Gespräche sinnlos bleiben, sofern weiterhin die Lebensumstände friedlicher und ökologisch denkender MitbürgerInnen zu ihren Unterdrückungen angegriffen, verfolgt, gar zerstört werden: Vielleicht nur, damit Aberrationen des Denkens mit allen katstrophalen Folgen fortgesetzt als allmenschliche Schwäche gewahrt bleiben können, eine Forderung des Wahnsinnigen!

Sicher, es ist problematisch, die Krankheit derjenigen zu definieren, die liebes- und kommunikationsunfähig Kriege und Zerstörungen verherrlichen, also auch schmerzunempfindlich bis zur Selbstzerstörung „Dreck“ produzieren und in sich hineinschaufeln: Aber dies sind nun einmal die wahren PatientInnen und vor der Erkenntnis dieser Tatsache sollte sich gerade ein OA einer psychiatrischen Klinik nicht permanent zu verdrücken suchen! Klaus Andreas Wiersig, Frankfurt/Main

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