: Rita Süssmuth, das gute Stück im Bonner Inventar
Auf dem Buchmarkt liegt ein neues Bekenntnis zum „Süssmuth-Effekt“ vor/ Die Autorin erliegt einem von ihr selbst entdeckten Phänomen ■ Von Tina Stadlmayer
„Nach fünf Minuten bin ich Opfer des Süssmuth-Effekts“, bekennt Elisabeth Kiderlen gleich zu Beginn ihres Buches über die Bundestagspräsidentin: „Sympathie breitet sich schneller aus als die Abwehr gegen Eingemeindung.“ Das ist natürlich schlecht: Eine Autorin erliegt einem, von ihr selbst entdeckten Phänomen. Ich weiß, was ihr helfen könnte: Es gibt keinen Süssmuth-Effekt, Elisabeth. Du hast ihn Dir nur ausgedacht, weil er einen schönen Titel für Dein Buch hergibt.
Ich gebe es zu: Rita Süssmuth schafft es immer wieder, die angeblich kritischen und linken Bonner Journalistinnen (auch mich) zu entwaffnen. Sie nimmt sich Zeit, redet leise und nachdrücklich, hat originelle Ideen, fragt nach und hört zu. All das, was frau von Bonner PolitikerInnen eben ganz und gar nicht erwartet. Und trotzdem: Wo ist der Trend, den ein Süssmuth-Effekt ausgelöst hätte?
Wie soll er eigentlich aussehen, der ominöse Effekt? Elisabeth Kiderlen bleibt vage: „Der Süssmutheffekt. Damit ist zugleich ein in unserer Republik einzigartiges, aber zukunftsträchtiges Phänomen bezeichnet: Ein öffentliches Wirken, das trotz ungeheurer Medienpräsenz die eigene Person zurücknimmt, das sich am Dialog orientiert und — zumindest vordergründig — nicht am Machtgewinn.“ ... „Sie (Rita Süssmuth) wurde zugleich Symbol einer parteiübergreifenden, unideologischen Politik.“ Da ist also eine Politikerin weniger auf Show aus, dialogbereit und hält sich nicht immer an die Parteilinie, und schon wird ein „Effekt“ draus. Das halte ich für schlicht überzogen.
Nachdem sie den Effekt entdeckt hat, leitet Elisabeth Kiderlen daraus auch noch eine sehr gewagte Theorie ab: „Die Gewichte in Deutschland werden neu verteilt... Vom Erhalt und der weiteren Durchsetzung einer zivilen Gesellschaft im neuen Gesamtdeutschland wird die künftige Position Rita Süssmuths abhängen.“
Alles im Korsett des Süssmuth-Effekts
Als MitkämpferInnen Rita Süssmuths erwähnt sie den Vorsitzenden der ehemaligen Ost-CDU, Lothar de Maizière, und DGB-Vorstandsfrau Regina Görner. Beider Karriere sei Beleg für den Süssmuth-Effekt und die Durchsetzung einer zivilen Gesellschaft.
Leider erwähnt die Autorin nur in einem Halbsatz, was sie unter einer zivilen Gesellschaft versteht. Vielleicht weiß sie es ja selbst nicht so genau. Oder sieht sie allen Ernstes in Rita Süssmuth die Vorreiterin für ein gerechteres, solidarischeres Leben ohne militärische und ideologische Konfrontation. Der gesellschaftliche Trend geht doch im Moment genau in die andere Richtung: Die DDR ist geschluckt, und jetzt heißt es: „Wir sind wieder wer.“
Mag ihre These auch falsch oder weit hergeholt sein, Elisabeth Kiderlens Buch ist trotzdem ein guter Lesestoff. Es ist süffig geschrieben, und die Autorin nähert sich behutsam dem Menschen Rita Süssmuth. Sie beschreibt die folgsame Vater-Tochter, die erst mit 34 Jahren „politisch wach“ wird. Es folgt eine detaillierte Chronologie ihres des politischen Werdegangs. Kiderlen begnügt sich jedoch nicht mit der Aufzählung der Ereignisse, sondern zwängt ihnen das Korsett ihrer These vom Süssmuth-Effekt auf. Und das geht daneben. Vor allem bei der Bewertung des frauenpolitschen Erfolgs der Ministerin Süssmuth verfängt sie sich wieder in ihrer Theorie von der zivilen Gesellschaft (die genauso eine Ideologie ist wie alle anderen, von Elisabeth Kiderlen so verabscheuten Ideologien). Hier die guten ReformerInnen bei Grünen und CDU (einschließlich Oskar Lafontaine), dort die verblendeten Feministinnen und Gewerkschafterinnen.
Auf der einen Seite die „Anerkennung der unterschiedlichen Lebensmodelle und Lebensphasen von Männern und Frauen“, auf der anderen „Vergesellschaftung der Kinder- und Erziehungsarbeit“. Sie feiert die Parlamentspräsidentin für ihren — für eine CDU-Frau sicher mutigen — Vorschlag, einen dritten Weg zwischen der Indikationslösung und der Fristenlösung im Abtreibungsrecht zu suchen. Allen, die etwas an der Süssmuthschen Kompromißlinie auszusetzen haben, klebt sie flugs das Etikett „Fundamentalist“ auf.
Elisabeth Kiderlen schreibt über Rita Süssmuth: „Das feministische Experiment an der Spitze der CDU.“ Klar, im Vergleich zu Norbert Blüm („die sanfte Macht der Familie“) oder auch zu manchem Sozialdemokraten ist Rita Süssmuth eine fortschrittliche Politikerin. Ich will mich auch nicht auf die alberne Diskussion einlassen, wer sich nun zurecht Feministin nennen darf und wer nicht. Aber: Fast immer, wenn es Ernst wurde, hat die Feministin Süssmuth gekniffen und sich ihren Parteimännern untergeordnet.
Unrühmliche Auftritte schlicht weggelassen
Diesen Aspekt läßt Kiderlen in ihrem Buch an vielen Stellen gnädig aus. Einige peinliche Auftritte und Fehlentscheidungen fehlen schlicht bei der Beschreibung des politschen Werdegangs der CDU-Frau. Zum Beispiel ihre verantwortungslose Fernsehansprache nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl. Damals reihte sich die Familienministerin in den Reigen der Verharmloser ein und riet den Müttern, ihre Kinder ruhig im Freien spielen zu lassen.
Auch Süssmuths unrühmliche Rolle bei den Koalitionsvereinbarungen 1986, als sie einem Beratungsgesetz zur Verschärfung des Abtreibungsparagraphen zustimmte, bleibt außen vor. Die „Mitfederführung“ bei frauenpolitischen Gesetzentwürfen, die Bundeskanzler Kohl der Ministerin 1988 zubilligte, schätzt Elisabeth Kiderlen als Erfolg ein. Es hatte sich jedoch schnell herausgestellt, daß „Mitfederführung“ eine inhaltsleere Floskel ist, denn keiner ihrer Ministerkollegen wollte sich die Verantwortung für ein Gesetz mit der Frauenministerin gleichberechtigt teilen.
Sogar an dem größten Fehler, den die Parlamentspräsidentin bei ihrer Karriereplanung je machte, findet Kiderlen noch etwas Positives: Sie schreibt: „Ihre taktisch bestimmte Kandidatur mit Ernst Albrecht bei der Niedersachsenwahl im Mai 1990 hat sie zwar Sympathien in der Bevölkerung gekostet, der eigenen Partei jedoch gezeigt, daß sie (...) sich für die Parteiräson in die Pflicht nehmen läßt.“
Wieder einmal hat sich Rita Süssmuth von den Parteimännern etwas aufzwängen lassen, das sie nicht wollte. Auch parteiintern war die Kandidatur in Niedersachsen ein Riesenfehler. Sie hatte sich nicht einmal schriftlich bestätigen lassen, daß sie Ernst Albrecht nach zwei Jahren im Amt des Ministerpräsidenten ablösen würde. Die Blamage, trotz der Versprechungen ihrer Partei Familienministerin statt Ministerpräsidentin zu werden, ist ihr durch den Wahlsieg der SPD erspart geblieben.
Nach dieser „schlechten Erfahrung“ (Süssmuth) machte sie gleich den nächsten Karrierefehler: Sie verzichtete darauf, Spitzenkandidatin in Sachsen zu werden. Dort hätte sie tatsächlich anstelle von Kurt Biedenkopf Ministerpräsidentin werden können.
Elisabeth Kiderlen drückt sich auch darum, Rita Süssmuths Wechsel vom einflußreichen Ministeramt zum repräsentativen Job der Parlamentspräsidentin einzuordnen. Die Frage bleibt offen: Warum hat sie sich abschieben lassen? Kiderlens Einschätzung, daß die Ministerin außer der Durchsetzung einer liberalen Aids-Politik nicht viel erreicht hat, ist sicher richtig.
Aber was erreicht Rita Süssmuth als Parlamentspräsidentin? Am Schluß ihres Buches zweifelt die Autorin — in guter Nachrichtenmagazinmanier — an ihrer eigenen These und fragt: „Verkörpert Rita Süssmuth also nur die vergangenen Hoffnungen auf andere Inhalte und andere Formen der Politik? Vielleicht wird sie langsam aber sicher das gute Stück im Bonner Inventar?“
Diese Fragen stellt die Autorin natürlich rein rhetorisch. Sie implizieren: Nein, nein, Rita Süssmuth ist keine vergangene Hoffnung und kein Stück Inventar. Obwohl vermutlich Lothar de Maizière demnächst ihren Job bekommt. Und obwohl auch garnicht sicher ist, daß sie im nächsten Kabinett einen einflußreichen Ministerposten erhält, sagt uns Elisabeth Kiderlen voraus: Sollte Helmut Kohl einmal abgehalftert haben, dann, ja dann wird wer wohl Bundeskanzlerin? Genau: Rita Süssmuth. Ob wir das noch erleben dürfen?
Elisabeth Kiderlen, Der Süssmuth- Effekt , Eichborn Verlag, 1990.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen