KOMMENTAR
: Kein Murren mehr

■ Der Paragraph 175 muß ersatzlos gestrichen werden

Weg mit dem Schandparagraphen! Wie lange muß man das noch fordern? Wie lange soll man das noch schreiben? Die öffentliche Meinung scheint sich darauf eingependelt zu haben, daß das unsägliche Machwerk schon längst auf dem Müll gelandet ist. Und doch ist der Paragraph immer noch auf dem Tisch. Demnächst steht der 175er sogar zur Übernahme wieder für die neuen Länder im Osten an, obwohl die sich doch erst vor zwei Jahren von solcherlei Sonderbehandlung für andere Lebensformen verabschiedet hatten.

Doch wie der Westen in allem besser weiß, was gut ist für den neuen Osten, so spielt er sich auch in der Frage der mann-männlichen Liebe erneut auf und will für die angeschlossenen Bürger in der Hand haben, was unter der Bettdecke passieren darf und was nicht. Grund: Ahnungslose junge Männer sollen geschützt werden vor Verführung. Nun weiß jeder, selbst der ungebildetste Hinterbänkler aus dem rechten Lager, daß die schlichten Dinge mit dem Leben und Lieben so einfach nicht funktionieren. Und doch beißen — vor allem die Männer — so gerne sich an diesem Vorurteil und Mythos fest. Schließlich sind die Interessen der Jugendlichen, für die sie ansonsten nur ein Schulterzucken übrig haben, das letzte Argument, das sie auffahren können um sich gegen jegliche Opposition zur patriarchatstragenden heterosexuellen Lebensform wenden zu können.

Da hilft kein Argumentieren mehr. So viele Wissenschaftler — Sexologen und Soziologen, Juristen und Psychologen — haben schon jede Nuance der Verführungstheorie vergeblich durchgekämmt und abgeraten von jeder weiteren Verwendung. So viele ehrenwerte BürgerInnen haben die Abschaffung des Paragraphen schon heftig mit ihrem Namen gefordert — angefangen 1926 mit Thomas Mann und Gustav Radbruch bis hin zum aktuellen Unterschriften-Sampler mit Jürgen Habermas und Gisela Schlüter. Die Volksvertreter blieben und bleiben hart.

Schluß sein muß mit dem „respektvoll kläglichen Murren“ der Schwulenbewegung, wie Martin Dannecker es formulierte. Jeder aktuelle 175er- Prozeß muß umgewandelt werden in ein öffentliches Tribunal gegen den Paragraphen. Und keine Stimme darf es bei den nächsten Wahlen geben für eine Partei, die kein eindeutiges „Nein“ formuliert. Denn eines ist klar: Jedes liberale Reden von Integration der homosexuellen Minderheit — wenn es denn sein muß, und auch mit freier Entscheidung für Trauschein und Lebensbund — beweist sich erst dann als glaubwürdig und ernst, wenn dieser Paragraph ersatzlos und endgültig abgeschafft ist. Elmar Kraushaar