Zwischen Burleske und Blues

■ Das Quartett des Posaunisten „Ray Anderson“ spielte bei Dacapo

Auf den ersten Blick schien es, als wäre Ray Anderson respektabel geworden. Der Paradiesvogel unter den Jazzposaunisten trug zwar eine bunt gestreifte Hose zum lila Hemd und einer schicken Weste, aber ansonsten trat in den Weserterrassen ein ganz normales, rein akustisches Jazzquartet auf. Als erstes Stück spielte die Band auch recht konservativen Mainstream- Jazz und man glaubte, sich auf ein Jazzkonzert einstellen zu müssen.

Aber der Opener hieß nicht ohne Hintergedanken „It So Happens“, denn beim zweiten Stück klang schon alles ganz anders und für den Rest des Abendes konnte man sich gespannt wundern: „What happens next?“. Jetzt zeigte sich die extreme Vielseitigkeit und der Humor dieser Band: in einer akustischen Burleske folgten freie Soli auf Arrangements, die an Straßen-und Zirkusmusik erinnerten. Ein Solo wurde auf der halb auseinandergenommenen Posaune gespielt, die Komposition war gespickt mit ironischen Zitaten aus der populären Musik. Jedem Puristen mußten bei diesen Tönen die Härchen in den Ohren zu Berge stehen. Danach folgte aber ein ganz ruhig und gefühlvoll gespielter Walzer im zeitlos klassischen Stil. So wechselte Anderson immer zwischen freieren Stücken und den konventionellen Stilformen hin und her.

Eine längere Komposition über das nächtliche New York wurde zu einem Tongemälde, in dem die Posaune zuerst quietschte wie die Schienen der U-Bahn und schließlich in einem Night-Club bei kubanischer Tanzmusik landete. In „Off Peak“ wechselten freie Passagen auf der gestopften Posaune plötzlich in dunkle Bluesstimmungen, die wie der Soundtrack eines „Film noir“ klangen.

Pianist David Lopato, Schlagzeuger Dion Parson und als „special guest“ Mark Helias am Kontra-Bass sind eine klassische Band im besten Sinne des Wortes. Sie spielten sich leicht und souverän durch die komplizierten Arrangements, in den Soli zeigte sich, daß jeder in all den verschiedenen Stilen zuhause war und etwas zu sagen hatte. Aber besonders wichtig war: alle vier spielten mit dem gleichen Sinn für Humor.

Aber Anderson war eindeutig der Frontman, auf den sich alles konzentrierte. Sein Spiel war immer extrem: er blies in sehr hohen Lagen oder so tief, daß er bei manchen Arrangements synchron mit dem Bass spielte. Mit der Zirkulationsatemtechnik (die ich vorher noch nie bei einem Posaunisten erlebt habe) blies er minutenlange Soli ohne einmal abzusetzten. Bei jedem Solo ging er an eine andere Grenze seines Instruments, und selbst als er bei der Zugabe einen Blues sang, tat er dies zum Teil mit einer extremen Kopfstimme am Rande des Schreies, wodurch er merkwürdige Obertöne erzeugte. Dabei ist Anderson kein Musiker, der dem Publikum seine Technik oder Genialität um die Ohren knallt, sondern ein ausgefuchster Performer, der auf höchster Ebene unterhält. Es ist lange her, daß mir ein Jazzkonzert so viel Spaß gemacht hat. Willy Taub