piwik no script img

Heuchler

■ Zur Reaktion der Parteien auf den PDS-Finanzskandal KOMMENTARE

Der Finanzskandal in der PDS löst bei den Vertretern der anderen Parteien außer der moralischen Erregung noch ganz andere Erregungen aus — Erregungen der lustvollen Art offenbar. Jochen Vogel, der Spezialist des moralisierenden Näselns, fordert nun die „Selbstauflösung der Partei“. Wenn nicht alles täuscht, schielt da doch die sittliche Empörung beträchtlich nach fehlenden Wählerprozenten. Kann er nicht abwarten, bis der Wähler sich in fünf Wochen zur Millionenschieberei äußert? Ist es dem SPD-Vorsitzenden nicht bang vor Frage, wo eigentlich die PDS- Mitglieder und — Wähler bleiben? Ist ihm nicht bange vor einem Heer heimatloser SED-Sozialdemokraten?

Auf eine Expertenstimme hatte man bei der Millionenschieberei der PDS bislang vergebens gewartet. Jetzt hat er, wie er sagte, „seine bisherige Zurückhaltung“ aufgeben, der Otto Graf Lambsdorff. Empört er sich nun, der phantasievolle Parteienfinanzierer und freischöpferische Interpret des Parteiengesetzes über die provozierende Dummheit des PDS-Manövers? Nein, eine „Partei der Schieber“ nennt er die PDS. Die Vorgänge seien so unglaublich, daß es ihm „beinahe die Sprache verschlagen“ hätte. Da verschlägt es einem doch die Sprache, daß es ihm die Sprache verschlägt. Ein frappierender Triumpf der Chuzpe über die Unverfrorenheit. Kann man so frech von der Epochenwende profitieren? Die Moral im vereinten Deutschland funktioniert offenbar nach dem Prinzip der kommunizierenden Röhren. Was die unbewältigte Vergangenheit in der Ex-DDR ist, ist wohl die bewältigte Vergangenheit in der Ex-BRD. Je mehr die Politik im Osten belastet erscheint, desto gereinigter erscheint sie im Westen. Die Politiker aus dem Westen begreifen, so scheint es, die Vereinigung als ein Sonderangebot an Gnade der späten Geburt.

Dabei gibt es angesichts dieser PDS-Schieberei genug Anlaß zum Erschrecken. Nur Lambsdorffs Schock ist nichts als dreiste Heuchelei, nichts als der hastige Versuch, aus PDS-Tuch sich eine weiße Weste zu schneidern. Diese ganze Inszenierung biedermännischer Indignation verdeckt, worüber man wirklich erschrecken muß. Es ist die Bunkermentalität, der Mythos von der Unvermeidlichkeit des illegalen Kampfes, die Vision des Kommunisten als dem auserwählten Opfer der Geschichte, der seine Wahrheit nur im Untergrund auszudrücken vermag, die es mit sich brachten, daß die ganze Parteiarbeit der PDS sich nur um einen Kern herum ordnete, um die Rettung des Geldes. Diese Finanzmanöver sind der wahre Ausdruck des politischen Bewußtseins der PDS. Hier liegt ein organisiertes Nichtbegreifen der Demokratie vor, das ein bißchen mehr fordert, als Haltet-den-Dieb-Rufe. Klaus Hartung

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen