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Regierung in Oslo stürzt über EG

■ Konservative Dreiparteienkoalition uneinig über Beitrittsantrag/ Efta vor dem Auseinanderfallen

Oslo/Berlin (taz) — Die bürgerliche Dreiparteienregierung in Norwegen ist nach einem Jahr gescheitert. Ministerpräsident Syse erklärte am Montag vor dem Parlament seinen Rücktritt. Grund für das Scheitern der Koalition ist, wie Syse erklärte, Uneinigkeit über die norwegische Europapolitik.

Die drei bürgerlichen Parteien, die bisher die Regierung in Oslo stellten, vertreten völlig unterschiedliche Auffassungen zur Frage einer Annäherung Norwegens an die EG. Während Ministerpräsident Syses konservative Höyre-Partei für einen baldigen Beitritt zur EG eintritt, wird dieser von der bäuerlich geprägten Zentrumspartei strikt abgelehnt. Sie weigerte sich auch, Syses Linie einer breiteren Kooperation zwischen Europäischer Freihandelszone (Efta), der Norwegen angehört, und EG zuzustimmen. Die dritte Koalitionspartnerin, die Christliche Volkspartei, will die Frage vertagen. Schon bei der Regierungsbildung zwischen diesen Parteien im September 1989 war klar, daß das Thema EG sie sprengen könnte. Letztlich kam die Koalition nur zustande, weil dieses Thema ausgeklammert wurde.

Nachdem sich am vergangenen Freitag auch die sozialdemokratische schwedische Regierung auf einen EG-Beitritt festgelegt hatte, fühlte sich der norwegische Ministerpräsident unter Entscheidungsdruck. Er erklärte, dem schwedischen Beispiel müsse schnellstmöglich gefolgt werden. Der Bruch mit dem Zentrum war damit vollzogen.

Eine entscheidende Rolle für die Eskalation in Oslo dürfte die Stagnation bei den Verhandlungen über einen Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) gespielt haben. Die Gespräche zwischen Efta und EG hatten im Juni dieses Jahres mit dem Ziel begonnen, die „vier großen Freiheiten“ des europäischen Binnenmarktes bis 1993 auch auf die sechs Efta- Länder und Liechtenstein auszudehnen. Allerdings war die EG bislang nicht bereit, die Efta-Länder in ihre Entscheidungsprozesse einzubeziehen; auch den Wünschen nach Ausnahmeregelungen für den in manchen Efta-Ländern wesentlich strengeren Verbraucher- und Umweltschutz kam die EG nur sehr schleppend nach. Inzwischen werden die Verhandlungen, die ursprünglich bereits zum Jahresende abgeschlossen sein sollten, weitgehend als gescheitert betrachtet.

Nach dem Efta-Mitglied Österreich, das bereits 1989 seinen — abgelehnten — EG-Beitrittsantrag stellte, könnten nun auch Schweden und Norwegen aus der gemeinsamen Efta-Linie ausscheren. Abbröckelungserscheinungen gibt es auch bei dem Efta-Mitglied Schweiz, wo eine Volksabstimmung über einen EG- Beitritt in der Diskussion ist. Die EG hat bereits deutlich gemacht, daß sie vor der Realisierung der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion und vor einer Konkretisierung der Politischen Union keine neuen Beitritte zulassen will. Statt dessen wird in Brüssel über Assoziierungsabkommen mit beitrittswilligen Efta-Ländern nachgedacht, ähnlich denjenigen, die für Osteuropa vorbereitet werden.

Wie es in Norwegen weitergeht, ist noch unklar. Die Mehrheitsverhältnisse im Parlament lassen Syse nur die Wahl, es mit einer Minderheitsregierung zu versuchen oder mit der rechtsradikalen Fortschrittspartei zu koalieren — was er bislang stets abgelehnt hatte. Sollte Syse keine neue Regierung zustande bringen, dürfte der Regierungsauftrag an die sozialdemokratische Oppositionsführerin Brundtland gehen. Doch auch diese würde mit ihrer Arbeiterpartei nur eine Minderheitsregierung bilden können. Zwar wird die Arbeiterpartei in der EG-Frage vermutlich bald dem Beispiel der schwedischen GenossInnen folgen. Doch auch diese Übereinstimmung mit der Höyre-Politik würde angesichts der sonstigen politischen Gegensätze eine „große“ Koalition zwischen Höyre und Arbeiterpartei nicht möglich machen. Da vorgezogene Neuwahlen in der Verfassung nicht vorgesehen sind, steht Norwegen vermutlich vor einer Phase recht instabiler politischer Verhältnisse. Reinhard Wolff/dora

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