Häuser für den langen Weg ins Jenseits

■ Zur Kultur der Letzten Dinge: Auf dem Riensberger Friedhof hören die Grabsteine auf, zu den Lebenden zu sprechen

Regungslos stehen sie in Reih und Glied. Helle, dunkle, rote, einer hinter dem anderen, die einen etwas größer, die anderen breiter, manche schlicht und ungeschmückt, manche auch aufgedonnert bis zum Anschlag. Sie stehen, stehen ohne zu murren im Regen, in Schnee wie Sonnenschein, stehen in Wind und Wetter, Tag und Nacht, ganz wie es kommt.

Schließlich haben sie als Grabsteine etwas zu sagen, das über das Heinosche „irgendwann sind alle gleich“ hinausgeht. Denn gleich sind sie nun wirklich nicht, auch das ist einer ihrer Zeichengehalte, aber die ganz einfachen Signifikanten der Ungleichheit, wie sie bis in die 20er Jahre, das goldene Zeitalter der Selbstdarstellung des sozialen Ranges, funktionierten, haben angesicht des Platzmangels auf den Friedhöfen ihre Realität verloren. Keine großkotzigen Grabkapellen dominieren mehr das Kreuzfeld, keine aufgetragenen Steinkreuze, keine Portraitreliefs auf klassizistischen Säulen und Stelen bezeugen noch über Jahrzehnte die einstige Bedeutung der Längstverstorbenen. Keine frischglänzenden polierten Granitplatten und auch nicht mehr die Sinnsprüche über ein Leben, daß außer Fleiß und Strebsamkeit keines hatte. Mit der plumpen Quantitätsästhetik der Gründerjahre, die die Größe der Grabmale und die Anzahl der Kapitelle mit der Tiefe der Trauer zu verknüpfen vorgab, aber nichts als die Tiefe der Geldbörse meinte, ist im Zeitalter der Friedhofsenge nicht mehr Grabstein machen.

Heutzutage wacht ein amtliches Gremium über die Einhaltung der Grabstein-Bauordnung, beurteilt die Stein-Vorhaben und erteilt oder versagt Bau-Genehmigungen, auf daß kein Stein die ästhetische Friedhofsruhe sprenge. Bis vor wenigen Jahren schrieb die Kommission selbst den Farbton des Totenmals vor. Konformität ist die Folge, deutlich zu sehen dort, wo sich die Gräber aus einem Zeitabschnitt häufen, eine Konformität, die eine Veränderung im Umgang mit dem Tod zeigt, die zu subtileren Strategien führt, ihm und der Grabstein-Kommission Individualität abzutrotzen. Eine Konformität, die auch die Zielrichtung des Zeichens Grabstein verändert.

Der bremische Standard-Grabstein der 80er und beginnenden 90er Jahre kommt aus der Fabrik. Ein rundeckiges, hochkant stehendes, angenähertes Rechteck aus rotem Bolus oder hellem Obernkirchener Sandstein, aus schwedischem Syenit oder dem hessischen Diabas; eine Platte, deren Oberfläche nachträglich aufgerauht werden muß, so daß das Gestein wie naturbelassen wirkt. Die Arbeit der Steinmetze, die sich entlang der Friedhofstraße am Riensberger Friedhof ballen, besteht zum größten Teil darin, mit der Hand, einem kleinen Preßlufthammer oder dem Schneidbrenner die polierten Oberflächen wieder abzutragen und einen Namen, in die Konfektionssteine zu meißeln. Dabei bleibt es, meist. Der Stein hat außer seiner Form und Materialbeschaffenheit nichts mehr mitzuteilen nach außen, er ist mit einem Namen markiert, damit die Friedhofsbesucher nicht vor dem falschen Grab trauern und versucht ansonsten, natürlich zu wirken.

Doch die kultische Bedeutung der Steingebilde als Totenvilla, die nicht mehr der Repräsentation gilt, nicht mehr der Betrachterin aus dem Reich der Lebenden, sondern dem Gebrauchswert für den toten Hausherrn, lebt wieder auf. Symbolisch, in Form von eingemeißelten Ornamenten, werden die Steine mit Grabbeigaben versehen, die den Verschiedenen im Jenseits gegen die Gefährdungen und vor allem die Langeweile helfen sollen. Die Segelyacht wandert mit auf dem langen Weg, oder der Zirkel, der im Berufsleben so unschätzbare Dienste leistete, oder auch einfach ein Ball und eine Sammlung mit Muscheln. Die Toten werdens danken. step