VORLAUF: Aus der Tiefe des Raumes
■ EM-Qualifikationsspiel Luxemburg-Deutschland, 20.15 Uhr, RTL
Nun wurde es ernst für den Fußball-Weltmeister aus Deutschland und Trainer Berti Vogts. Der Fußballzwerg Luxemburg entpuppte sich als der erwartete Angstgegner, gegen den sich die deutsche Elf erwartungsgemäß schwer tat. Kapitän Matthäus verscheuchte die Fotoreporter aus dem Anstoßkreis und schob das Leder gleich in der ersten Minute zu Uwe Bein, der nicht zögerte, den Ball an Klinsmann weiterzugeben.
Klinsmann verweilt erst seit kürzerer Zeit in Italien als sein Kollege Brehme, spricht aber, wie der Pizzabäcker von Ulli Stein vertraulich mitteilte, wesentlich besser Italienisch als Brehme, der den geschickten Rückpaß Klinsmanns auch promt verfehlte.
Die Gastgeber, die wie die deutsche Mannschaft, mit elf Mann angetreten waren, stellten bereits in der ersten Minute den Spielverlauf auf den Kopf. Buchwald laborierte an einer Zahnverletzung. So schnell konnte ich gar nicht die Namen der kleinen Männer auf dem Rasen nachschlagen, da zischte der Ball, perfide angeschnitten, auch schon knapp über die deutsche Netzkante.
Die deutsche Netzkante, ein von deutschen Fernsehzuschauern nicht immer gern gesehener Ort zur Aufbewahrung von Bällen, erschien sogleich noch einmal in der Wiederholung. Wobei die Kollegen aus der Technik die Wiederholung, also die eigentliche Wiederholung, ausließen und — was keiner so recht bemerkte — gleich die Wiederholung der Wiederholung einblendeten. „Das mußte das Tor sein“, ereiferte sich mein Luxemburger Kollege. Ich hatte nicht die Zeit, ihm zu erklären, daß er, um seine Zuhörer nicht zu verblöden, doch bitteschön den Konjunktiv verwenden möge: „Das hätte das Tor sein müssen“. — Nein, dafür hatte ich nicht die Zeit, denn schon segelte das Rundleder wieder in den deutschen Strafraum. „Auge“ Augenthaler bewies keinen guten Überblick. Die Flanke teilte die Tiefe des Raumes in Diesseits und Abseits. Keiner wußte so recht, was geschehen war. Bein, der vom gegenerischen Strafraum zurückgekehrt war, entnahm traurig den Ball aus dem deutschen Netz.
Pflügler entpuppte sich als Fremdkörper. Die Luxemburger sorgten dafür, daß aus dem Fremdkörper kein Feuerwerkskörper wurde. Rudi (mit dem langen „u“) Völler schimpfte. Berti Vogts lockerte seine teure Krawatte, ein Geschenk Beckenbauers. Die restlichen 89 Minuten waren ein Spiel auf ein Tor. Die restlichen 89 Minuten waren überdeutlich gekennzeichnet vom drückenden Gefühl der Torsch(l)ußpanik. Die restlichen 89 Minuten waren klasse Fußball. Die restlichen 89 Minuten boten eleganten Fußball. Matthäus beherzte die Anweisung, erneut aus der Tiefe des Raumes zu kommen. Alles Stürmen half am Ende nichts. Die Luxemburger entschieden die Partie für sich. Klinsmann verabschiedete sich mit Ganzkörperkrämpfen. Manfred Riepe
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