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"Wir sind die Moorsodaten" / Zweimal Schillers "Räuber", in Ost- und West-Berlin

Böse Menschen haben keine Lieder, bloß Liedgut, auf dem sie sich niederlassen und solcher Art Töne schwingen, daß alles rings um sie verstummt. Sie haben stets eine flotte Melodie auf den Lippen und halten das rechte Lied zur rechten Zeit bereit. Unerträglich wie die Besserwisser, die stets das passende Wort parat haben. Am Ende möchte man einfach nur weg.

Alexander Langs "Räuber"-Inszenierung weist einige hübsche Einfälle und Pointen auf, die aus Schillers 1781 verfaßten Sturm- und-Drang- Drama ein mit Komik und Pathos vorgetragenes Unterhaltungsstück machen sollten. Unterstrichen vom Trommelfeuer der Räuberbande, die aus dem Bühnenboden hochfährt. Noch bevor das erste Wort fällt, singen die bösen Buben a capella und mit akzentuierten Pausen: Kein schöner Land in dieser Zeit, Guten Abend, gute Nacht, und immer wenn einer zu sprechen anhebt, fällt ihm ein anderer ins Wort, der Gesang des Männerchores schwillt mächtig und die Männerbrüste wogen kräftig.

Wann immer sich Gelegenheit bietet, intonieren die Räubersleut deutsches Liederbuchrepertoire. Als es zu einer mörderischen Auseinandersetzung unter ihnen kommt, stehen sie Gesang bei Fuß mit Ich hatt einen Kameraden. Aus der Gesangslektion ist eine Exerzierstunde geworden, aus der hübschen kleinen Idee eine Plage

Alles ist da, Blitz, Donner, und das Käuzchen ruft; der Bühnenprospekt zeigt eine zerfallene Burgruine, dessen Felsen rätselhaft und schroff in eine abend- oder morgendämmernde Waldlandschaft aufragen. Heimstatt des Grafen Moor (Walter Schmidinger), der dort zigarreschmauchend und als gutmütiger Tölpel umherstapft, sowie seines Sohnes Franz (Michael Maertens), der blaß und durchtrieben gegen seinen Bruder Karl intrigiert: beide Schauspieler — ein Lichtblick der Inszenierung. Amalia (Katja Riemann), des Grafen Nichte und Karls Getreue, von Franz heftigst umworben, bleibt weibchenhaft und darf als einzige im ganzen Stück nicht komisch sein.

Karl (Jürgen Elbers), gut, schön und eitel, hat in Leipzig mit einer Gruppe Libertiner eine Räuberbande gegründet. Mit dem Frieden in Deutschland wollen sie sich nicht zufrieden geben, "pfui" trrommeln sie und ziehen in die böhmischen Wälder. Aus den Räubern werden Mörder, Karl wird sich — dank des charakterbildenden Einflusses von Schiller — am Ende der Justiz stellen; bei Lang bildet die singende Sportjugend eine wild schießende Armeefraktion, aus fröhlichen Anarchos werden finstere Reaktionäre.

Der Autor schlägt sich in seinem Vorwort von 1781 mit der ästhetischen Frage herum, warum es nicht zu verhindern sei, dem Bösen Raum durch Darstellung zu gewähren und ihm noch sympathische Charakterzüge zu verleihen. "Jeder Menschenmaler ist in diese Notwendigkeit gesetzt, wenn er anders eine Kopie der wirklichen Welt und keine idealistische Affektationen, keine Kompendienmenschen will geliefert haben."

Genau solche stellt Lang auf die Bühne, ohne Doppelleben, platt wie Schießbudenfiguren, kein Gefühl. Er hetzt sie nicht in die Farce, treibt sie auch nicht in Extreme. Dabei eignete sich gerade "Die Räuber" hervoragend als Western auf dem Theater. Leise würde dann der Banditenkönig Kein schöner Land in dieser Zeit summen, nur das eine Mal.

Auch Frank Castorf läßt singen. Auch hier an der Volksbühne, Berlin (Ost), Stückkgut, aber aus dem sozialistischen Lager, der antifaschistischen Tradition. Soeben ist die Bandenbildung in Leipzig erfolgt, Karl Moor zum Hauptmann erkoren. Paarweise reichen sich die Räuber die Hand und singen leise Wir sind die Moorsoldaten. Ein makabrer Regieeinfall, und eine bitterböse, klitzekleine Reminiszenz.

Die Libertiner/Räuber sind ein ziemlich debiler Haufen, der einen auch schonmal um ne Mark anhaut. Der Ort ist trist, die Bühne hat Guckkastenformat und den Charme einer Garageneinfahrt. Alles, was uns fehlt, ist Solidarität, uns fehlen nicht die Hoffnung, nicht der Mut... scheppert es aus dem Lautsprecher. Linkisch stapfen die Betonindianer den Rhythmus, gröhen mit und nehmen ihren Häuptling in die Mitte. "Und nu?" Ratloses Schweigen. Karl Moor studiert die Frage mißachtend die Zeitung. "Pilze" sagt er plötzlich und liest den jährlichen Pilzbericht des Bezirkes vor. "Pilze", echoen daraufhin die anderen, "dieser Gedanke verdient Erörterung". Nun haben sie ihren Anführer. So ziehen sie als Soldaten ins Moor.

Regisseur Frank Castorf vertauscht Akte, läßt Szenen entfallen, montiert Fremdtexte ein, fertigt eine Collage voller aktueller Anspielungen: "Stinkereien in Leipzig", die Gelächter ernten, eine Publikumsbeschimpfung durch Franz der Art "Ihr müßt endlich mal arbeiten! Vierzig Jahre opportunistisch vor sich hin schnarchen!", sächselnde Stimmen und eine rote Fahne statt der preußischen — viele andere Details werden dem westlichen Zuschauer entgehen. Doch eine Stimmung fängt er ein, die der Angst vor der westlichen Übermacht.

Castorfs Inszenierung ist reich an Einfällen, aber ohne szenische Dichte, seltsam disparat. Um von der Ebene der aktuellen Anspielungen wegzukommen, hat der Regisseur seine Inszenierung auf eine philosophische Beine gestellt. Libertin De Sade kommt durch Justine (Marlies Ludwig) zu Wort. Amalia (Cornelia Schmauss), eine Mischung aus Burgfräulein, Krankenschwester und Nonne, wird prompt vom alten Grafen Moor schwanger, der wiederum das Kind gebärt. Trude eins/zwei/drei philosophieren bei Schaumwein über die Herr-Knecht-Dialektik, in Vopo-Uniform singen die Räuber Kameraden, wir stehen in fester Reih, wir — die Volkspolizei.

Derber Spaß und intellektuelle Scherze dicht beieinander und doch Welten auseinander. De Sade als Sinnstifter einer repressiven DDR- Gesellschaft? Die Räuber als Nullbock-Prinzipler? Das Programmheft gibt Aufschluß via Roland Barthes: "Die Lust wird ständig betrogen, reduziert, herabgesetzt zugunsten starker edler Werte: WAHRHEIT, TOD, FORTSCHRITT, KAMPF, FREUDE usw. Ihr siegreicher Rivale ist die BEGIERDE: ..." Die kanalisiert in Zukunft die Westgesellschaft.

Friedrich Schiller: "Die Räuber". Regie: Alexander Lang. Bühne: Caroline Neven Du Mont. Mit Walter Schmidinger, Jürgen Elbers, Michael Maertens. Schiller- Theater. Nächste Aufführung: 3.11.

"Räuber von Schiller". Regie: Frank Castorf. Bühne: Bert Neumann. Mit Winfried Wagner, Gerd Preusche, Henry Hübchen. Volksbühne. Nächste Aufführung: 4.11.

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