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Aus für Atomstrom in Bulgarien?

Zwei der fünf Reaktoren des einzigen bulgarischen Kernkraftwerks wurden nach „Havarien im elektronischen Teil“ abgeschaltet  ■ Von Roland Hofwiler

Sofia (taz) — Zwei der fünf Reaktoren des Skandalreaktors von Kosluduj mußten wegen „Havarien im elektronischen Teil zweier Energieblöcke“ auf unbestimmte Zeit abgeschaltet werden, meldete gestern der staatliche bulgarische Rundfunk. Weitere Einzelheiten wurden der Bevölkerung nicht mitgeteilt. Ein Sprecher der oppositionellen Parlamentspartei „Ecoglasnost“ witzelte gar am Telefon gegenüber der taz: „Endlich ist Bulgarien atomstromfrei — und wir werden darum kämpfen, daß es so bleibt.“ Mit genug Druck, so glaubt man dort, kämen die Blöcke nicht wieder in Betrieb. Man glaube nicht, daß bei der gestrigen Reaktorabschaltung eine unmittelbare Gefahr radioaktiver Strahlung bestanden habe, so der Sprecher. Die Regierung habe einen kleineren Betriebsunfall zum Anlaß genommen, um ohne Gesichtsverlust Kosluduj vom Netz nehmen und weiteren peinlichen Protestaktionen zuvorkommen zu können. Diese Ansicht bestätigen auch Experten, nach deren Auffassung es einen Defekt im Turbinenbereich gegeben hätte, wobei jedoch keine Radioaktivität frei geworden sei.

Ministerpräsident Lukanow hatte am Montag erklärt, die Anlage müsse abgeschaltet werden, falls nicht internationale Sicherheitsstandards erreicht werden könnten.

Es ist erst einen Monat her, daß die Arbeiter und Ingenieure des Skandalreaktors in einen mehrtägigen Streik getreten waren, da sie „nach der demokratischen Wende“ keine Lust mehr verspürten „ein zweites Tschernobyl zu bedienen“. Seit Inbetriebnahme im Herbst 1988 standen mehrere der 1.000-Megawatt- Reaktoren allein wegen schwerer Störungen sechzehnmal still, kleine Zwischenfälle wurden der Bevölkerung gar verheimlicht. Bei dreien der Havarien sei man ganz knapp einer Katastrophe wie in Tschernobyl entgangen, wobei jedesmal eine nicht unbeachtliche Menge an Radioaktivität freigesetzt wurde, wie im Frühjahr das Jugendblatt 'Narodna Mlades‘ enthüllte.

Auch von rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten aus gesehen war Kosluduj ein Skandalprojekt. Als die heimische Hauptenergiequelle schlechthin konzeptiert, sollten die fünf Reaktoren 40 Prozent des Strombedarfs Bulgariens decken, was zuletzt nur zu 20 Prozent erfüllt worden sei, behauptet man bei „Ecoglasnost“. Die offiziellen Regierungszahlen von 35 Prozent seien gefälscht.

Bezüglich Alternativen zur Energieversorgung schweigen sich die regierenden Sozialisten und die „Union der demokratischen Kräfte“, denen auch „Ecoglasnost“ auf den Oppositionsbänken angehört, aus. Während der Irak mit 1,3 Milliarden Dollar bei den Bulgaren verschuldet ist und der Nachbar Sowjetunion nahezu seine gesamte Erdöllieferungen in den letzten Monaten stornierte, kommt die heimische Energiegewinnung bislang nicht auf eigene Füße.

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