(Wahl-) Volk ist deutsch!

■ Die Karlruher Richter haben gesprochen, und die Union kann sich freuen: Das kommunale Wahlrecht für Einwanderer ist vom Tisch. Zum "Volk", so die Verfassungsrichter einstimmig, gehören nur die im ...

Friedrich Bohl gab sich entzückt: „Sehr zufrieden“ sei er, beschied der Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion gestern öffentlich, „erfreut“, „voll bestätigt“. Bohl hat allen Grund zur Schwärmerei: Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe bescheinigt ihm nicht nur, daß er das kommunale Ausländerwahlrecht zu Recht stets bekämpft hat. Die Richter argumentieren außerdem im Kern genauso wie die CDU/CSU-Fraktion, die bayerische Landesregierung und die Bundesregierung gegen das von Hamburg und Schleswig-Holstein eingeführte Kommunalwahlrecht für Ausländer. Sie halten es für verfassungswidrig, weil für sie nur die Deutschen hierzulande das Volk sind.

Als Dreh- und Angelpunkt ihres Urteils gelten den sieben Männern und der einen Frau des 2. Senats die Artikel 28 und 20 Grundgesetz. Dabei verlangt ersterer nur dies: „In den Ländern, Kreisen und Gemeinden muß das Volk eine Vertretung haben, die aus... Wahlen hervorgegangen ist.“ Und auch Artikel 20 bestimmt lediglich: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen... ausgeübt.“ Daß das (Wahl-) Volk deutsch sein muß, sagt die Verfassung nicht — wohl aber seit gestern ihre obersten Hüter in Karlsruhe. Unter Volk im Sinne des Grundgesetzes sei, so die Richter, das „Staatsvolk der Bundesrepublik Deutschland“ zu verstehen. Nach dem Grundgsetz werde das Staatsvolk von den Deutschen gebildet. Und: „Das schließt die Gewährung des Kommunalwahlrechts an Ausländer aus.“

Juristisch gezwungen waren die Karlsruher Richter zu diesem politisch Urteil keineswegs. Ende Juni, in der Verhandlung zu dem Verfahren, das die CDU/CSU-Fraktion und Bayern angestrengt hatten, waren ihnen von den Vertretern Hamburgs und Schleswig-Holsteins eine Fülle verfassungsrechtlich haltbarer Argumente für das kommunale Ausländerwahlrecht präsentiert worden. Die Rechtswissenschaftler Schmidt- Jortzig und Bryde hatten dafür gestritten, den Begriff „Volk“ zeitgemäß auszulegen: auf dem Hintergrund der Bundesrepublik als Einwanderungsland. Nachdem der Nationalstaat sich aufgelöst habe, so Bryde damals, könne man „Volk“ nicht mehr ethnisch bestimmen. „Volk“ bildeten heute alle „Beherrschten“, „Unterworfenen“ in einem Staatswesen, die von dessen Entscheidungen „betroffen“ seien — also auch Ausländer.

Das Bundesverfassungsgericht wollte sich jedoch nicht dazu durchringen, die Verfassung so zeitgemäß auszulegen. Es definiert „Volk“ auch weiterhin nicht danach, wo Menschen ihren Lebensmittelpunkt haben. Das Wahlrecht, so die Richter, stünde nach dem Grundgesetz nur Deutschen zu; dabei bleibe es — obwohl inzwischen erheblich mehr Nichtdeutsche hier leben. Wolle der Gesetzgeber „Veränderungen in der Zusammensetzung der Einwohnerschaft der Bundesrepublik im Hinblick auf die Ausübung politischer Rechte Rechnung tragen“, dürfe er dies nicht, indem er Ausländer wählen lasse. Es stehe ihm lediglich frei, den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit zu erleichtern.

Sicher war den Vertretern Hamburgs und Schleswig-Holsteins klar, was es bedeutet, von Verfassungsrichtern in Deutschland zu verlangen, sie sollten unter „Volk“ auch Ausländer fassen. Wohl deshalb hatten sie dem 2. Senat Ende Juni einen Ausweg gewiesen — der freilich auf dem Boden des Gleichheit für alle BürgerInnen fordernden Grundgesetzes kaum zu beschreiten ist: Wählen dürfen, so argumentierte etwa der von Schleswig-Holstein betraute Brun-Otto Bryde, sollten die AusländerInnen ja nur Kommunalparlamente. Kommunen seien aber etwas anderes als der Staat. Sie bildeten, ähnlich wie Universitäten oder Berufskammern, lediglich eine Form von Selbstverwaltungkörperschaften. Deshalb komme es im Falle von Kommunalwahlen gar nicht darauf an, wer zum wahlberechtigten Staatsvolk gehöre. Wählen können sollten vielmehr jene „von den örtlichen Angelegenheiten der Gemeinde Betroffenen“.

Die Verfassungsrichter nahmen diesen Ausweg nicht wahr. Mit der grundgesetzlich vorgesehenen Volksvertretung in Kreisen und Gemeinden sollen ihrem Urteil zufolge nicht die Mitwirkungsrechte im Bereich der kommunalen Selbstverwaltung gestärkt werden. Ziel sei vielmehr eine einheitlich demokratische Legitimationsgrundlage für alle Gebietskörperschaften auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland. „Wahlen, bei denen auch Ausländer wahlberechtigt sind, können eine demokratische Legitimation nicht vermitteln.“

Ganz wohl scheinen sich die Richter nicht gefühlt zu haben, als sie an dem Urteil schrieben. „Abschließend“ gibt es darin nämlich noch ein Trostpflaster. Aus ihrer Entscheidung, so teilen sie mit, folge nicht, daß man zum Zwecke der derzeit im Bereich der Europäischen Gemeinschaft erörterten Einführung des Kommunalwahlrechts für Ausländer nicht die Verfassung ändern könne — sprich: Mitte der neunziger Jahre werden hierzulande vielleicht Franzosen, Italiener und Engländer wählen können. Nicht aber etwa Türken, Sinti oder sowjetische Juden... Ferdos Forudastan