Ein »Einreiseirrtum«

■ Von einem ausländischen Bezirksverordneten Ostberlins, der »aus Versehen« in die DDR emigriert war

Berlin. Seit vergangenem Mittwoch ist der Mann eine verfassungsrechtliche Provokation: Dr. Saleh Hussain, 43jähriger Germanist und Theaterwissenschaftler, sitzt seit den Kommunalwahlen in der Ex-DDR für das Bündnis 90 in der Pankower Bezirksverordnetenversammlung (BVV) — da hätte er nach dem Willen des Bundesverfassungsgerichts nicht hinkommen dürfen. Denn Hussain ist irakischer Staatsbürger, der vor 22 Jahren nach Ost-Berlin emigrierte.

Warum er die DDR als Fluchtland wählte, erklärt sich aus einer Vorliebe für deutsche Literatur und einer Verwechslung. Jung und anfällig für politische Romantik sei er damals gewesen, und die Nachrichten über einen gewissen Rudi Dutschke und die Studentenbewegung waren bis nach Bagdad gedrungen. »Wir haben im Irak damals nicht so scharf zwischen Ost- und Westdeutschland differenziert«, sagt Saleh. Die DDR, Dutschke und Sozialismus — das paßte zusammen. Also floh Saleh Hussain in die DDR, landete in Ost- Berlin und wurde zum Studium nach Leipzig geschickt. Das erste, was er dort auf der Straße erlebte, waren »zwei Polizisten, die einen Homosexuellen mit Stiefeln getreten haben«. Die Zweifel am System wurde er seitdem nicht mehr los.

Hussain fiel im sozialistischen Arbeiter- und Bauernstaat immer wieder auf, ob er nun Theaterstücke mit irakischen Emigranten aufführte oder außerhalb der verordneten Solidarität der SED zur Hilfe für Chile aufrufen wollte. Jedesmal standen die Herren von der Parteileitung, der Universität oder auch der irakischen Botschaft vor der Tür. Oft hat er überlegt, seinen »Einreiseirrtum« zu korrigieren. Aber ein zweites Mal alle Freunde hinter sich zu lassen, erschien ihm als Preis zu hoch. Auch dann noch, als man ihm nach Beendigung seines Studiums und seiner Promotion einen Arbeitsplatz verweigerte. Er schlug sich mit Gelegenheitsjobs durch, übersetzte deutsche Autoren, darunter Heiner Müller, ins Arabische. Keine Arbeit = keine Aufenthaltsgenehmigung hieß die Devise für Ausländer in der DDR. Ein Jahr lang lebte er quasi illegal, bis er einen regulären Arbeitsplatz als »Sprachmittler« erhielt. Anderen erging es da schlechter; die DDR-Behörden machten mehr als einmal kurzen Prozeß und schoben unliebsam gewordene Ausländer nach West-Berlin ab.

Dieses Problem hat sich heute dank der Vereinigung erledigt. Saleh Hussain schlägt sich als Vorsitzender des Ausländerausschusses in Pankow und als Mitarbeiter der Ostberliner Ausländerbeauftragten mit ganz anderen Sorgen herum: Mit Massenentlassungen und Schikanen gegen vietnamesische ArbeiterInnen, mit rassistischen Übergriffen gegen AusländerInnen und mit den eigenen, kleinen Zusammenbrüchen, diesem Gefühl, »daß alles, was du machst, vielleicht umsonst ist«. Letzteres zu bewerten wird den WählerInnen bei den nächsten Bezirksverordnetenwahlen 1992 nicht mehr möglich sein. Die werden wieder unter rein deutscher Beteiligung stattfinden. Andrea Böhm