Konflikte mit beschränkter Hoffnung

■ Stasialtlasten und die neuen Probleme mit der Arbeitslosigkeit — wie gehen die Betroffenen damit um?/ Beobachtungen auf zwei Workshops des von Innenstadtrat Krüger und der Friedrich-Ebert-Stiftung initiierten »Konfliktforums 1« in Ost-Berlin

Mitte. Nicht nur die Bürgerbewegung hat im »Revolutionsjahr« 1989 demonstriert, auch die Stasi selbst. Im Juni 1989 forderten über tausend Mitarbeiter im Innenhof der Stasi- Zentrale die Absetzung ihrer Führung, weil diese über die angespannte Stimmung im Land wohl nicht mit dem gegebenen Nachdruck weiterberichtete. Diese Kuriosität wußte der einstmalige oberste Stasi-Auflöser Werner Fischer in einem von fünf Workshops zu berichten, zu denen Innenstadtrat Thomas Krüger im Rahmen eines »Konfliktforums« am Samstag eingeladen hatte.

Diese bisher unbekannte Episode warf gleichzeitig ein kleines Schlaglicht auf die Diffizilität des Problems Stasi. Man käme nicht weit damit, insistierte auch die SFB-Journalistin Susanne Opalka, den Geheimdienst als einheitlichen Block, als »Monster« zu behandeln. Zum einen hätten viele Stasileute tatsächlich an den Sozialismus geglaubt und sich vorgemacht, die Führung werde für Abhilfe bei den von ihnen geschilderten Mißständen sorgen. Zum anderen reiche das Täter-Opfer-Beziehungsgeflecht tief in die Gesellschaft.

Doch heute scheint sich diese Gesellschaft dafür nicht mehr interessieren zu wollen: Nur eine Handvoll Leute fand sich zu diesem Workshop ein. Fischer und Opalka nutzten indes die Gelegenheit, um in dieser familiären Atmosphäre vor allem die menschlichen Dimensionen der Stasi-Auflösung auszuleuchten.

Zum Beispiel jene von dem einstmals engen Freund Werner Fischers, der diesen jahrelang bespitzelte. Als Fischer zum Stasi-Auflöser ernannt wurde, wollte er aus Europa abhauen: »Er dachte, ich jage jetzt hinter ihm her.« Doch schließlich gelang es Fischer, ihn zu einem langen Gespräch vor einer Kamera zu bewegen, »und seit dieser Offenbarung fühlt er sich freier«. Der Freund sei ein durchaus typischer Fall gewesen: »Seine Freundschaft zu mir war ehrlich«, und dennoch habe er keine Skrupel gehabt, seinem Führungsoffizier alles über ihn zu berichten, im naiven Glauben, dieser werde schon für politische Veränderungen sorgen. Doch nicht nur er, »alle inoffiziellen Mitarbeiter sind schizophren gewesen«, glaubte Fischer. »Eigentlich bräuchten sie alle eine Therapie« und menschliche Hilfe, um sich zu ihren Taten bekennen zu können.

Daß viele Täter inzwischen schon wieder besser leben als ihre Opfer, bringt ihn allerdings in Wut. Ex-Bauminister Viehweger beispielsweise habe die Dresdner Opposition bis Januar 1990 ausgekundschaftet, und Ex-Umweltminister Steinberg, der ein »korrupter Spitzel« gewesen sei, trete jetzt wieder bei Sektempfängen in Sachsen-Anhalt auf.

Workshop Arbeitlosigkeit

Diejenigen, die der Workshop »Soziale Sicherheit und soziale Marktwirtschaft contra Arbeitslosigkeit« direkt betraf, waren nicht erschienen. »Eigentlich«, so eröffnete Klaus Grehn, Präsident des ostdeutschen Arbeitslosenverbandes, die Diskussion, »müßten hier 120.000 Menschen erschienen sein. Dazu kommen noch einmal 50.000 aus Verwaltung und Staatsapparat, die demnächst in die ‘Warteschleife‚ geraten.« Zwar habe er einen Horror vor großen Zahlen, »weil dahinter das dramtische Einzelschicksal nicht mehr erkennbar« wäre. Ihn mache die Entwicklung Angst: »Ab Januar '91 wird die Lawine der Langzeitarbeitslosen auf uns zurollen, mit allen sich daraus ergebenden Folgen. Auch erschrickt mich die Struktur der Arbeitslosen — 22 Prozent der Arbeitssuchenden sind unter 25 Jahre.« Von solcherlei »Panikmache« hielt jedoch der anwesende Vertreter der Treuhandanstalt wenig: »Die ganzen Horrorzahlen, die noch vor einem halben Jahr gehandelt wurden, haben sich ja nun nicht bestätigt.« Sicher werde die Talsohle erst im Frühjahr nächsten Jahres erreicht sein, dann aber gehe es steil bergauf. Daß die Arbeitslosenzahlen jedoch vor allem aufgrund der noch immer an die Betriebe ausgezahlten Liquidationskredite unter den Prognosen geblieben sind, mußte er zwar bestätigen, doch »es spielt doch gar keine Rolle, ob wir 2, 3 oder 2,7 Millionen haben werden, wichtig ist einzig, daß der Tiefpunkt im kommenden Jahr durchschritten sein wird.« Sprach's und verschwand.

Über die psychologische Situation der Arbeitslosen referierte der Bremer Wissenschaftler Thomas Kieselbach. Er sprach davon, daß allein die in den westlichen Industriestaaten für die nächsten Jahre prognostizierten Arbeitslosenzahlen die WHO dazu veranlaßte, von einer »mittleren epidemiologische Katastrophe« zu sprechen. Arbeitslosigkeit mache krank, daß sei erwiesen. Da aber die Ostdeutschen Arbeitslosigkeit bisher noch nicht gekannt hatten, seien die bei ihnen zu erwartenden Auswirkungen viel höher als in Ländern, wo es immer Erwerbslosigkeit gab. Zum Abschluß seiner Ausführung warnte Kieselbach davor, beim Vereinigungsprozeß betriebswirtschaftliche Kostenrechnungen zu erstellen — es müsse eine gesamtgesellschaftliche Kostenrechnung aufgemacht werden. usche/ok