: Die kalte Gewißheit
■ Lutz Dammbecks »Herakles Höhle 3« in der NGBK
»Wir wissen alles und fühlen doch nichts« kommentierte Lutz Dammbeck seinen Entwurf der Kunstfigur Herakles 1987*. In seiner Inszenierung der Höhle des Herakles läßt sich der Weg vom Dunklen ins Helle nicht mehr gehen, das Abenteuer der Aufklärung nicht mehr bestehen. Schwarz und Weiß sind in ihrer metaphorischen Bedeutung vertauscht. Das Tabuisierte liegt im Licht offenbar.
»Das weiße Schweigen« ist der hinterste Raum von Dammbecks Ausstellung in der NGBK mit einem Zitat aus Heiner Müllers »Herakles2 oder die Hydra« überschrieben. Ein an die Wand gekritzelter Text führt ein in die Suche nach Herakles: »Als Kind spielte ich oft am Leipziger Schuttberg. Bei unseren Spielen fanden wir auch Spuren einer Figur namens Herakles. Von den dort unter Trümmerschutt und Erde eilig verscharrten, von Gras und Ginster überwucherten Relikten des vergangenen Krieges ging ein unbestimmter Sog aus. Diese Fundstücke gehörten für mich, wie das Schweigen der Eltern über Herakles und jene Zeit, in ein imaginäres, verbotenes Zimmer, das zu betreten tabu schien« [gekürzt].
Damit entwirft Dammbeck sich selbst als einen lebenslang nach Wahrheit Suchenden. Die Figur des Herakles wird zum Modell alles Verdrängten und zum Schlüssel zu einer Lücke im gesellschaftlichen Gedächtnis. Der Boden des Raumes ist mit Fotokopien bedeckt, die grafische Motive von der Vermessung und Geometrisierung des Menschen und von seiner Zurichtung als rationelle Maschine wiederholen. Wie am Eingang einer Höhle stoppt der Ausstellungsbesucher im Türrahmen des Raumes, um nicht auf die Blätter zu treten. Im Innern der Höhle aber nistet nicht mehr Geheimnis, verborgenes oder verdrängtes Ahnen sondern hell ausgeleuchtetes Wissen, dem die Bewußtheit nichts von seiner schrecklichen Wirksamkeit nimmt.
Dammbeck, der 1986 von Leipzig nach Hamburg übersiedelte, arbeitet seit 1983 am Herakles-Projekt mit Texten, Videos, Bildern. Eine Serie von dreißig Collagen, die Herakles- Notizen, dokumentiert den langjährigen Umgang mit dem Phantombild des Zivilisationsheroen. Bilder- Schnipsel von Soldatenfotos, Kinderbildern, Anleitungen zur Gymnastik, Therapie und Unterricht, von Maschinenmenschen, Prothesen, steinernen Skulpturen und Werbefotografien schlagen den assoziativen Bogen von der faschistisch geprägten Vereinnahmung des antiken Körper- und Heldenbildes bis zur Gegenwart. Doch allein dessen Kontinuität in revolutionärem Pathos und den gegenwärtigen Stilisierungen des leistungsbetonten Menschen nachzuweisen, wäre ein banales Spiel. Irritation wird erst dadurch wieder mächtig, daß Dammbeck die Gegensätze von Verborgenem und Bewußtem, mit denen jede Höhlenmetapher operiert, aufhebt und damit die Dynamik der Aufklärung sabotiert. Wissen bleibt machtlos gegenüber der Tradierung des Heldenbildes.
Man glaubt ihn zu kennen und kann ihn doch nicht dingfest machen. Der Herakles, den Dammbeck in seiner »Versuchsanordnung 2« mit groben Stichen aus Fetzen verschiedener Fotos zusammennäht, setzt sich aus privaten und öffentlichen Bildern zusammen, aus Pressefotos von Politikern, Terroristen und Widerstandskämpfern, die so ihrer vermeintlich signifikanten Unterscheidungsmerkmale verlustig gehen. Teile von Brekers Gipsbüsten, einmontierte Plastikköpfe von Schaufenster- und Kinderpuppen, grob vernähte Vampirgebisse und Hundeschnauzen signalisieren die Fähigkeit zu weiteren Mutationen. Der schmerzhafte Prozeß des Gesichtsverlusts wird zur Waffe; in der Unkenntlichkeit liegt die neue Macht des Helden.
Die zuletzt entstandene Bilderserie »Versuchsanordnung 3« von bläulich schimmernden Cibachromen hat Dammbeck am Bildmischer des Landeskriminalamtes Düsseldorf hergestellt.
Die ästhetische Technik der Collage, die sich noch dem Ziel der Erkenntnis verbunden um die Demaskierung und das Aufschimmern eines wahren Bildes hinter den Rissen des Falschen bemühte, schlägt um in die kriminalistische Konstruktion eines Täters. Hinter diesen synthetischen Bildern gibt es nichts aufzudecken; entfernt man sie, schaut man in das nackte Licht der Leuchtkästen.
In den Herakles-Notizen hat Dammbeck den Text Heiner Müllers abgeschrieben; das Abschreiben wird zum stellvertretenden und therapeutischen Prozeß, der ihn um das eigene Zur-Bestie-Werden herumschifft. Die emotionalen Spannungen entladen sich im weit auseinandergezerrten Schriftbild und seiner Zersetzung mit Bildzitaten, die den Strom der Assoziationen bewältigen.
Die Arbeit am Herakles-Komplex bringt eine fortgesetzte Kunstproduktion hervor, in der sich Fremdes und Eigenes mischen. In ihrem Fluß, in der ständigen Auflösung des Vorigen, das wieder zum Material für Neues wird, liegt ein Gegenbild zu der Konstruktion und Setzung des heldischen Subjekts. Katrin Bettina Müller
Lutz Dammbeck, »Herakles Höhle 3«, Neue Gesellschaft für Bildende Kunst, 5. November bis 7. Dezember, mo-fr 10-17 Uhr.
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