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ZWISCHEN DEN RILLEN VONTHOMASWINKLER

Die vielnationalen, in Berlin beheimateten Lolitas sind professionell geworden über die Jahre. Das zeigt schon ein kurzer Blick auf die Cover ihrer Platten. Auf ihrer ersten selbstbetitelten LP Lolitas von 1986 war ein bis zur schmerzenden Unschärfe vergrößertes Polaroidfoto abgebildet, das Sängerin und Schlagwerkerin Francoise noch mit kürzeren Haaren auf einem speckigen Sofa sitzend zeigt. Die Farben sind schlimm bis nicht vorhanden, und die Aussagekraft beschränkt sich auf: Nur da, wo Trash draufsteht, ist auch Trash drin.

Für bouche-baiser hat ein echter, richtig professioneller Fotograf Bassistin Olga sehnsüchtig nach oben blicken lassen — mit Weichzeichner und immer noch ein bißchen unscharf, aber das war so gewollt.

Die Progression der visuellen Verpackung ist nur die logische Folge aus der Entwicklung der Musik. Vom grandios charmanten und hoffnungslos dilettantischen Trash-as-Trash-can der Anfangsjahre sind die Lolitas zumindest auf Platte inzwischen weit entfernt. Live haben sie sich viel von ihrem stolperigen Drang bewahrt, fürs Studio besorgen sie sich dann ganz, ganz tolle Produzenten. Nachdem die letztjährige Platte vom Helden Alex Chilton produziert wurde, saß diesmal Chris Spedding hinter der Glasscheibe — zwar kein so toller Held, aber immerhin auch einer.

Spedding hat die vier einfach machen lassen. Im Gegensatz zu Chilton, der die Lolitas schon fast auf völlig geglätteten Gitarrenpop trimmte. Bouche-baiser ist rauher als der Vorgänger und bringt die Eigenschaften, die die Lolitas zu den Lolitas machten, wieder besser zur Geltung. Das verschleppt rümpelnde Schlagzeug, die Gitarren, die immer angeschimmelt klingen, die simplen Songs, die auch simpel belassen werden sollten, und darüber ein Gesang, der sich um das alles nicht schert — wie ein manchmal etwas flügellahmes Engelchen über einer Rolle Klopapier.

Die Themen von Francoises Texten sind gekonnt belanglos wie immer und damit von vornherein schon besser als irgendwelche unverdauliche Herz-Schmerz-Lyrik. Sie singt über ihren Roboter mit Onyxaugen, über ein Poster von Sylvester Stallone oder die Bonbons, die man nicht von fremden Männern annehmen soll. Und die französische Sprache sichert immer noch das Überleben des inzwischen aber leider sehr verkümmerten Chanson-Elements in der Musik der Lolitas. Was waren das noch für Zeiten, als man erwarten durfte, daß sie irgendwann Gilbert Bécaud endlich mal zeigen, was man mit 100.000 Volt wirklich anrichten kann.

Aber man muß nicht jammern, die Lolitas sind nicht nur wegen der in der Band vorhandenen drei Nationalitäten (oder sind's nach dem heimwehbedingten Weggang von Gitarrist Tutti Frutti doch nur noch zwei?) die einzige Hoffnung Deutschlands im Hinblick auf den EG-Binnenmarkt und ganz sicher immer noch gut genug für letzte verbliebene Trasher (live) und französisierte Kulturredakteure (Platte).

Lolitas: „bouche-baiser“. Vielklang EFA 04037-08

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