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Ex-Bosch-Chef Merkle klagt Politiker an

Morgen fällt das Urteil im Stuttgarter Parteispendenprozeß/ Das Verfahren hat Politiker und Finanzbehörden als Anstifter und Mitwisser entlarvt/ Blackouts bei den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft/ Freispruch unwahrscheinlich  ■ Aus Stuttgart Erwin Single

„Sie wußten es. Alle.“ Kurz und prägnant bringt Rechtsprofessor Jürgen Welp auf den Nenner, wer in Baden- Württemberg seiner Ansicht nach die Wege und Umwege der illegalen Parteienfinanzierung gekannt hat. Stehend und mit bitterer Stimme rechnet sein Mandant Hans Lutz Merkle in seinem Schlußwort vor dem Stuttgarter Landgericht noch einmal mit den Mitwissern ab: „Der Staat und seine Amtsträger sitzen, moralisch gesehen, auf der Anklagebank — nicht ich.“ Es widerspreche dem Gleichheitsgrundsatz, fügt der einstige Bosch-Chef hinzu, wenn die früheren Spender wegen angeblicher Steuerhinterziehung die „volle Schärfe des Gesetzes“ treffen solle, „während die Nutznießer sich ins Fäustchen lachen — noch“. Merkle: „Ich bereue nichts; ich bekenne keine Straftat.“

Merkle muß sich als potentieller Steuersünder wegen eines Delikts verantworten, das in der Vergangenheit schon anderen Firmenbossen wie etwa dem früheren Veba-Chef Bennigsen-Foerder, den Ex-DIHT- Präsident Wolff von Amerongen, dem Flick-Manager von Brauchitsch oder dem Waschmittelfabrikanten Henkel empfindliche Geldstrafen beschert hatte: Steuerhinterziehung über sogenannte Parteispendenwaschanlagen. Die Staatsanwälte werfen Merkle vor, zwischen 1971 und 1980 über 6 Mio. DM „Mitgliedsbeiträge“ an die als „Berufsverband“ ausgewiesene „Gesellschaft zur Förderung der Wirtschaft e.V.“ (FG) gezahlt und zu Unrecht als Betriebsausgaben abgesetzt zu haben. Die angeblich hinterzogene Steuer, insgesamt 3,9 Mio. DM, hat der Bosch-Konzern inzwischen nachgezahlt. Merkle, so Staatsanwalt Schmid, habe gewußt, daß die FG kein steuerbefreiter Berufsverband sei, sondern der Finanzierung von CDU und FDP diente, in deren Kassen direkt und indirekt im fraglichen Zeitraum mit 24 Mio. DM weit mehr als die Hälfte ihrer Einnahmen wanderten. Während die Ankläger eine Geldstrafe von 600.000 DM für Merkle fordern, hat die Verteidigung auf Freispruch plädiert.

Das Musterländle der Geldwäscher

In Baden-Württemberg funktionierte die illegale Pateienfinanzierung über 20 Jahre hinweg beinahe perfekt. Raffgierige Parteistrategen hatten mit ihrem schwäbischen Finanzierungspatent, in streng vertraulichen Parteidossiers schlicht „2. Weg“ getauft, die üppig fließenden Spenden über einen Tarnverband zum nächsten in die Parteischatullen manövriert, um so die Obergrenze von 25 Prozent für die Weiterleitung von Spendengeldern über Berufsverbände an Parteien zu umgehen. Nirgends wurde dieses Verfahren dreister und systematischer betrieben als im Südwesten: allein die CDU kassierte zwischen 1969 und 1980 über 40 Mio. DM, ein kleines Sümmchen fiel auch für die FDP ab. Die Finanzbeamten schlossen die Augen, Behördenchefs und Minister griffen nicht ein; die verstrickte Politprominenz kaschierte dies und wusch ihre Hände in Unschuld.

So forsch und beharrlich wie Merkle hat sich bislang keiner der angeklagten Parteispender im Gerichtssaal verteidigt. Für den Grandseigneur der deutschen Wirtschaft ist dessen Prozeßstrategie bereits vor dem Urteilsspruch am Dienstag aufgegangen. Die Beweisaufnahme und Zeugenvernehmung in dem nun knapp anderthalb Jahre dauernden Verfahren sollte offenlegen, daß Politiker „als Gesetzgeber, Amtsträger und Verwalter“ eine klare Regelung für die Parteienfinanzierung stets im Dunkeln ließen und damit die Spender „in eine Falle gelockt haben“. Das, glauben Merkle und Verteidiger, sei gelungen — obwohl durch „schnöden Opportunismus, blanke Feigheiten, egoistisches Pharisäertum und peinliche Gedächtnislücken“ der Regierungs- und Parteispitzen (Verteidiger Welp) lange genug verdeckt geblieben. Ohne Namen zu nennen, schlüpft Merkle am Ende des neben dem Bonner Flick-Verfahren bislang spektakulärsten Parteispendenprozesses noch einmal in die Rolle des Anklägers: Die „wegen des Verdachts der Beteiligung an der angeklagten Tat“ von der 6. Wirtschaftsstrafkammer nicht vereidigten CDU-Landespolitiker hätten die Brisanz der Mittelbeschaffung stets ausgespart. „Damit wollten sie sich“, so Merkle, „wenn wir ihren nach Verjährung ganz unnötigen Schutzbehauptungen Glauben schenken, die Finger nicht schmutzig machen“.

Gedächtnislücken von Späth, Filbinger und Schlee

Die vernichtende Kritik Merkles galt vornehmlich den CDU-Präsidialherren, die Ministerpräsidenten Lothar Späth und Hans Filbinger sowie Innenminister Dietmar Schlee inbegriffen. Diese hatten mit ihren Gedächtnislücken vor Gericht jämmerliche Gestalten abgegeben. Schlee, dessen Erinnerungsschwäche nach Meinung der Merkle-Verteidiger „schon pathologische Züge“ habe, konnte sich nicht einmal mehr an die von ihm selbst verfaßten Präsidiumsprotokolle erinnern. Der geübte Vergangenheitsbewältiger Filbinger, der die Spenden für seinen Kampf gegen „Anarchie und Gewalt“ als „Selbstverständlichkeit“ einsackte, wußte nach seinen „Weihnachtsmärchen“ im Zeugenstand (Verteidiger Welp) lediglich, daß er nichts von den illegalen Praktiken wußte. Und Späth, der vergessen hatte, daß es Protokolle der CDU-Präsidiumssitzungen gab, war entgegen seiner eigener Aussage weit öfters anwesend, wie die Unterschriften unter den Schriftstücken auswiesen — auch, als Streitigkeiten über die „Verteilung der Beute“ ausbrachen, von denen er nichts gehört haben wollte. Diesem Streit auf der Sondersitzung im März 1973 lag genau jenes Schreiben des CDU-Landesschatzmeisters Neuhaus zugrunde, das wie kein anderes die Kaskaden-Finanzierungswege offen schilderte und das Späth angeblich nicht kannte. Das Urteil der Verteidiger: „Alles, was der Zeuge Späth zu dieser Frage erklärt hat, war eindeutig falsch.“ Und: Falls sich der Landesvater zu Unrecht wegen Verdachts auf Mittäterschaft nicht vereidigt und diffamiert sehe, hätte er den Staatsgerichtshof um Rehabilitation anrufen können. Ein Ermittlungsverfahren wegen uneidlicher Falschaussage wie gegen Filbinger wollte die Staatanwaltschaft gegen Späth bekanntermaßen nicht einleiten.

Schon während der Ermittlungen im Zusammenhang mit den Spendern waren den Anklägern peinliche Fehler unterlaufen. Wichtige CDU- Akten, bei einer Durchsuchung 1983 sichergestellt, wurden von der Staatsanwaltschaft einfach zurückgegeben und fehlten später in den Prozeßunterlagen. Außerdem hatten es die Ankläger versäumt, wichtige Zeugen rechtzeitig richterlich vernehmen zu lassen.

Jede Menge Material, aber kein Verdacht

Und obwohl sich massenhaft Material auch über die Verstrickung von Politikern bei den Staatswanwälten ansammelte, hegte diese keinerlei Anfangsverdacht. Nun ist die Sache verjährt. Lediglich gegen einen aus der langen Reihe der „Politiker- Amtsträger“ hat die Staatanwaltschaft Anklage erhoben: gegen den „Sündenbock“ und „Vorzeige-Angeklagten im Wartestand“, Hubertus Neuhaus. Obwohl dem Verfahren gegen den früheren CDU-Kassierer und maßgeblichen Drahtzieher der illegalen Parteienfinanzierung ebenfalls die Verjährung droht, sieht die Staatsanwaltschaft keinen Grund zur Eile. Statt dessen liebäugelt sie noch immer mit der Möglichkeit, das Verfahren mit einem Strafbefehl zu beenden und so endgültig die Aktendeckel über der südwestdeutschen Parteispendenaffäre zuzuklappen.

Mit beispielloser Schärfe warfen die Merkle-Verteidiger der Anklagebehörde Einseitigkeit bei den Ermittlungen vor: die Stuttgarter Staatsanwälte, kritisierte Welp, haben die Geldgeber verfolgt und die Empfänger übersehen. „Ich kann aus alledem nur folgern“, legte er nach, „daß man kein Interesse an Ermittlungen hatte, die die gesamte Führungsspitze der CDU in das Verfahren einbezogen hätten“. Das Merkle- Strafverfahren, das seine Wurzeln in den Finanzbedürfnissen politischer Parteien habe, mit der Geschichte dieser Parteien und der des Staates untrennbar verknüpft sei und die Regierung einbeziehe, sei „ein politischer Prozeß par excellence“.

„Ich stelle mich nicht an den Pranger“

Dem Angeklagten Merkle wird sein Hinweis, er habe guten Glaubens gehandelt und nur seine staatsbürgerliche Pflicht erfüllt, indem er mit finanzieller Unterstützung der Parteien Versäumnisse des Gesetzgebers nachgeholt habe, vermutlich nicht zum Freispruch verhelfen — ebensowenig wie seine „Klarstellung“, die Unternehmer hätten die Politik gefördert, jedoch nicht gekauft. Der Einwurf der Verteidiger, Finanzbehörden und Politiker hätten die bedenkliche Stuttgarter Spendenpraxis absichtlich nebulös gehalten, dürfte Merkle höchstenfalls beim Strafmaß entlasten. Ankläger Schmid hatte Merkle vorgeworfen, eine dominante Rolle bei der illegalen Parteienfinanzierung gespielt zu haben, nicht zuletzt sei er Mitbegründer, zeitweilig Vorsitzender und langjähriges Kuratoriumsmitglied der Fördergesellschaft gewesen. Und wenn die Politiker „von Anfang an über alles genau Bescheid gewußt“ haben, ist da anzunehmen, Merkle habe davon nichts gewußt? Der jetzt 77jährige einstige „Großmeister von der Schillerhöhe“: „Ich will mich nicht als untadelig hinstellen, aber ich bin doch kein Mensch, der sich bewußt an den Galgen oder an den Pranger bringt.“

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