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Ran an den Faschismus im Alltag

■ Gespräch mit Marita Knauf (SPD), Kulturstadträtin in Friedrichshain, über die Frage, wie Skins, Polizei und Kultur miteinander ins Gespräch kommen können INTERVIEW

taz: Welche Möglichkeiten haben Sie, gegen rechtsradikale Übergriffe vorzugehen?

Marita Knauf: Die Einflußmöglichkeiten sind gering. Rechtsradikale Übergriffe gab es ja schon vorher. Jetzt ist es nur so, daß verdeckte Spannungen aufbrechen. Außerdem bietet die soziale Unsicherheit einen idealen Nährboden für das Wachsen und Entstehen rechtsextremer Haltungen. Das kann nur in einem Prozeß der Auseinandersetzung angegangen werden. Für Polizeischutz bin ich nicht zuständig. Das einzige, was ich anbieten kann, sind Gespräche mit der Polizei, in denen die Polizei informiert wird über besonders gefährdete Objekte, damit sie sich für deren Sicherheit verantwortlich fühlt. Eine Bewachung rund um die Uhr allerdings wäre sicher auch für die Betreiber ein unzumutbarer Zustand. In diesem Zusammenhang finde ich eine Sicherheitspartnerschaft sehr wichtig. Auf der anderen Seite müssen die alternativen Projekte mehr ins Gespräch gebracht werden. Sie müssen Publikations- und Werbemöglichkeiten bekommen, und im Bezirk Friedrichshain müssen ihre Veranstaltungen in den regelmäßig erstellten Veranstaltungskatalog aufgenommen werden. Außerdem muß die Schwellenangst für den Besuch dieser Einrichtungen abgebaut werden. Das heißt auch, daß die Macher aus der Szene sich toleranter gegenüber den Normalbürgern geben müssen.

Was kann man von Ihrer Seite tun, damit eine solche Sicherheitspartnerschaft entsteht?

Gesprächstermine müßten gemacht werden, wo Polizei und die Macher der betroffenen Kultureinrichtungen zusammenkommen, damit sie die Einrichtungen als schützenswert akzeptieren. Alle Beteiligten müßten an einen Tisch, doch das kann ich nur empfehlen, da bin ich nicht weisungsberechtigt. Es wäre auch wichtig, mit Skins ins Gespräch zu kommen. Das ist aber ziemlich kompliziert, das kann man nicht verordnen. Man müßte das über private Kontakte angehen. Wenn wir einen Gesprächsabend ansetzen und die einladen, wird das wahrscheinlich nicht so erfolgreich sein. Aber die Überfälle richten sich ja nicht nur gegen alternative Einrichtungen, sondern auch gegen ganz normale Klubs, und das ist schwierig zu verstehen — das paßt nicht in das Schema. Da werde ich noch mit dem Bezirksstadtrat für Familie, Jugend und Sport zusammenarbeiten, der alle Jugendklubs aus dem Bereich der Kultur übernommen hat. Eine ganz große Verantwortung liegt bei den Schulen: Die Lehrer müssen die sogenannten weißen Flecken bei sich selber beseitigen, um dann für ein akzeptables, humanistisches Geschichtsbild bei den Schülern zu sorgen, wo vor allem Konfliktbewältigung gelernt werden muß. Das Schwierige ist, daß bei uns keiner dies Handwerkszeug erworben hat. Betroffen macht mich, daß zu viele die sogenannte Wende als Stunde Null verstehen und nicht mehr an ihre Geschichte erinnert werden wollen. Wichtig ist, daß Lehrer und Eltern mit den Schülern über die vergangenen 40 Jahre reden, denn wir waren nicht alle Opfer. Ein Vertrauensverhältnis kann nur entstehen, wenn sich die Erwachsenen öffnen. Im Bezirk unterstützen wir die Vergangenheitsbewältigung der Lehrer damit, daß ein Pfarrer Gesprächsangebote macht. Außerdem sollte sich die Schule nach außen öffnen. Damit die Freizeitbetreuung der Schüler nicht auf der Strecke bleibt, muß sie wieder Freizeitangebote bieten. Da gibt's ja eine ganze Palette an Möglichkeiten; vom Spanischlernen bis zu Computer- und Tanzzirkeln.

Sie wehren sich gegen die Qualifikation der Angreifer als »Hobby-SA«?

Man müßte genau untersuchen, was das für Jugendliche sind und was für Motive sie haben. Sie in die faschistische Ecke zu stellen erscheint mir gefährlich. Es ist durchaus denkbar, daß sie aus einer Orientierungslosigkeit zu provokanten Haltungen kommen. Weil es die leichteste Form der Provokation ist, machen sie sich faschistische Parolen zueigen, ohne sie wirklich für sich angenommen zu haben. Wenn wir sie als faschistisch einordnen, ist die moralische Wertung so eindeutig, daß ein Gespräch kaum noch möglich ist. Da ist sehr viel Aufklärungsarbeit nötig, die auch in der Schule geleistet werden muß: Das Geschichtsbild über den Faschismus ist äußerst lückenhaft. Wenn man deutlich machen könnte, was Faschismus auch für den Alltag bedeutete, käme man auch emotional an die Jugenlichen ran. Nicht nur mit der Vermittlung über kommunistische Widerstandskämpfer. Für mich ist das Kapitel Faschismus im Alltag auf der Strecke geblieben. Da bemühen wir uns auch: Zum Beispiel hat vor kurzem die 10. Klasse der EOS Friedrich Engels gemeinsam mit einer 10. Klasse einer Wilmersdorfer Schule einen Tag mit einem Juden verbracht, der ihnen erzählt hat, wie er den Faschismus erlebt hat — was Lebensmittelkarten bedeuteten, was es bedeutete, keine zu bekommen, was es bedeutete, im Untergrund zu leben. Da Kenntnisse zu haben macht sensibel und schützt vor totalitärer Ideologie. Ob das genügt, weiß ich nicht. Ich bin mir bewußt, daß ich einem klassischen Bildungsideal nachhänge. Eine andere Form ist für mich aber schwer vorstellbar. Interview: Detlef Kuhlbrodt

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