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Der Architekt als Kulturmensch

■ Der Nachlaß des Architekten Hermann Muthesius im Werkbund-Archiv

Dem sonst eher bissigen »Museum für Alltagskultur des zwanzigsten Jahrhunderts«, so der Untertitel des »Werkbund-Archivs« im Martin-Gropius- Bau, sind die Zähne ausgefallen. Schon die letzte Ausstellung Die gute Form in der Zeit des Terrors war eine Anhäufung hastig zusammengestopfter Dinge.

Der Ausstellung über den Architekten Hermann Muthesius fehlt ebenso der Biß. Die Zeichenmappe ist programmatisch zugeklappt. Brav läßt man die Bauwerke außen vor und zeigt in chronologischer Ordentlichkeit den Nachlaß unter dem Motto: »Der Architekt als Kulturmensch«.

Zu sehen sind: erste Bildchen, die Zeugnisse mit lauter »sehr gut«, frühe Reiseeindrücke aus Japan, Muthesius mit seiner Frau Anna in England, der streitbare Werkbund- Mitbegründer, unter Freunden und als Geheimer Rat, Bücher, Briefe, Briefe, Bücher und so weiter. Das ist ganz gut. Nur reicht es eben nicht, sind doch die assoziativen Beilagen — jene Accessoires aus dem Alltag des 20. Jahrhunderts — schiere Garnierung: Mobiliar aus der Gründerzeit steht da im Gegensatz zum »Nutzstil« des Architekten. Eine kleine Spielzeugeisenbahn und ein Herrenfahrrad sind Exempel für Hermann Muthesius' Vorlieben der »wissenschaftlichen Sachlichkeit«. Ein Herrenanzug muß herhalten, um die Theorie einer Berührung »ideal- sanitärer Anschauungen mit ästhetischen« aus den kulturtheoretischen Schriften zu versinnlichen. Aus der Trickkiste des dynamisch aufblühenden bürgerlichen Industriezeitalters in Deutschland fehlt gar nichts. Nur, daß es keine Zaubereien sind.

Hermann Muthesius (1861-1927) dagegen, der Architekt malerischer Villen im englischen Landhausstil einerseits und Befürworter industriell gefertigter Massenware andererseits, hat die Geschichte im Umbruch vom obsolet feudalen Historismus zum technischen Zeitalter ungleichzeitig und dynamisch er- und belebt: ungleichzeitig darum, weil die Gediegenheit und Haltung seiner Architektur zwar im Widerspruch zum schwülstig-ornamentalen Stil der Gründerzeit stand, sie aber letztendlich hinter der rasanten Entwicklung im Bauen nach dem Ersten Weltkrieg weit zurück blieb. Für Muthesius war Architektur Ausdruck des großbürgerlichen Lebensgefühls. Dynamisch, weil sein Denken die Reformbewegung und die Anfänge des Funktionalismus im Bauen, die weitgehende »Typisierung« in der Produktion und die Überwindung einer Trennung zwischen Industrie und Kunst forcierte. Walter Gropius und Bruno Taut etwa, die später im Aufbegehren gegen die Bauweise des saturierten Bürgertums selbst mit glatten und industriell gefertigten Formen daherkamen, waren noch 1914, als Muthesius ein Plädoyer zugunsten des neuen Stils und gegen die überlebten Traditionen im Handwerk hielt, noch ablehnend rückständig. Muthesius, ein Paradox.

Dieses Paradox zwischen Ungleichzeitigkeit und Dynamik — Eckhard Siepmann spricht es im wirklich guten Katalog an — fehlt in der Ausstellung. Die Zeit hätte genug hergegeben, um den Nachlaß zu interpretieren. Angefangen von der Biedermeierlichkeit zwischen Flugerlebnissen und Giftgasgranaten bis zu den ersten Versuchen der Postrakete im Zeitalter des Männersockenhalters. Das wären zeitgemäßere Dinge gewesen.

Dennoch. Ganz am Rande der Schau kommt man zu Vitrinen, die mit anderen, ironischen Mitteln das Paradox darzustellen und zu versöhnen suchen. Es sind die besten Teile in der Ausstellung. Zum Beispiel: Ein Brief Muthesius ist in eine Schreibmaschine eingespannt. Es geht in dem Schreiben, wie so oft, um dem Konflikt zwischen Kunst und Industrie, zwischen Tradition und Innovation. Ganz einfach hat die Ausstellung ihn gelöst. rola

Die Ausstellung ist noch bis zum 11.11.1990 in den Räumen des Werkbund-Archivs im Martin- Gropius-Bau zu sehen; Di. bis So. von 10 bis 20 Uhr.

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