: Willy Brandt ist in Bagdad gelandet
■ Erste Gespräche mit irakischem Vizepremier und Außenminister/ Überraschendes Treffen mit Arafat/ Niederländisches Rotes Kreuz wittert positive Vorzeichen für erfolgreiche Mission
Bagdad (dpa/afp/ap) — Der SPD- Ehrenvorsitzende Willy Brandt hat gestern in Bagdad seine Gespräche aufgenommen. Auf dem Programm standen Treffen mit dem irakischen Vizepremier Ramadan und mit Außenminister Asis. Bereits am Nachmittag traf Brandt überraschend mit dem PLO-Vorsitzenden Arafat zusammen. Heute wird Brandt beim irakischen Präsidenten Saddam Hussein vorstellig.
Von den Gesprächen Brandts wird die Freilassung einer größeren Zahl ausländischer Geiseln erwartet. Bei einer Zusammenkunft mit zahlreichen im Irak festgehaltenen Deutschen am Dienstag vormittag in der Botschaft der Bundesrepublik hatte sich der Politiker zuversichtlich über seine Erfolgsaussichten geäußert. Zugleich betonte er, daß er sich auf der Grundlage der UN-Beschlüsse und der Europäischen Gemeinschaft bewegen werde und „nichts zu verhandeln“ habe. Die Bundesregierung, die sich zunächst Einzelaktionen zur Geiselbefreiung widersetzt hatte, toleriert die Mission Brandts als Privatreise. Außenminister Genscher hatte am Montag erklärt, der Altbundeskanzler bewege sich völlig im Rahmen der Entschließung des Europäischen Rates von Ende Oktober. Kritik an der Aktion übten London und Paris, nach deren Ansicht nur Saddam Hussein von solcherart Publizität profitiere. Darüber hinaus schlug Hans-Dietrich Genscher vor, mit dem Irak befreundete Staaten sollten eine Vermittlerrolle in der Golfkrise übernehmen. Die Europäische Gemeinschaft solle sich mit Jordanien, Tunesien und Algerien in Verbindung setzen, damit diese ihren Einfluß in Bagdad geltend machen.
Die irakische Zeitung 'Al-Jumhuriya‘ veröffentlichte am Dienstag ein Interview, in dem sich Brandt für Gespräche zur Lösung der Golfkrise einsetzt. „Ich glaube, alle beteiligten Seiten, Amerika eingeschlossen, sollten zum Dialog bereit sein, um die Region vor einem Krieg zu bewahren“, zitiert die Zeitung Brandt. Die USA vertreten die Position, daß Gespräche vor einem bedingungslosen irakischen Abzug aus Kuwait unmöglich sind.
„Ich gehe nüchtern, aber mit der notwendigen Hartnäckigkeit in die Gespräche mit der Führung“, sagte Brandt bei seiner Ankunft in der deutschen Botschaft in Bagdad vor deutschen „Gästen“ Saddam Husseins. „Ich werde hart dranbleiben. Stellen Sie sich innerlich darauf ein, daß es kein Kleckerverfahren geben wird.“ Der Friedensnobelpreisträger spricht von zwei, vielleicht drei Ausreisestufen. Er will sich für alle 3.000 bis 5.000 Ausländer einsetzen.
Auf dem Bagdader Flugplatz wartet indessen der Lufthansa-Airbus „Nördlingen“, in dem 260 Menschen — insgesamt werden etwa 380 Deutsche im Irak festgehalten — Platz finden können. Auf dem Hinflug war das Flugzeug fast leer, wenn man von der kleinen Gruppe um Willy Brandt und den neun Tonnen Medikamenten absieht. Auf dem Rückflug werden vielleicht alle Plätze besetzt sein.
Brandts Konzept, sich bei Präsident Saddam Hussein für die freie Ausreise aller Staatsbürger stark machen wird, scheint unterdessen eine erste Bestätigung zu finden. Ein Delegierter des niederländischen Roten Kreuzes berichtet Journalisten, bisher seien alle Versuche fehlgeschlagen, Ausreisegenehmigungen für Niederländer zu erwirken, aber: „Jetzt haben wir auf einmal die Aufforderung erhalten, eine Liste mit Namen der Kranken, Alten und humanitären Fällen einzureichen.“
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