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Das Kämpfen fällt den West-Grünen schwer

Im Bundestagswahlkampf kommen die West-Grünen mit ihrem Wahlkampfschwerpunkt Klimakatastrophe nicht recht an/Mit der „sozialen Frage“ sollen Verluste am linken Rand verhindert werden/Grüne/Bündnis90 machen getrennten Wahlkampf  ■ Aus Bonn Gerd Nowakowski

„Halbe-halbe“ antwortet Vorstandssprecherin Heide Rühle auf die Frage, ob die zu beobachtende Geschlossenheit der Partei lediglich dem Wahlkampf geschuldet oder gewachsene Einsicht sei. Daß sich die verschiedenen Flügel der Partei nur aus Taktik bis zum 2. Dezember zurückhalten, mag auch keiner ihrer SprecherkollegInnen ausschließen. Doch zum Abschluß eines verkorksten Jahres, in dem die Partei der Spaltung nahe war, sich in der Deutschlandpolitik nahezu abgemeldet hat und in der öffentlichen Wahrnehmung im Schatten stand, gilt allerorts die Parole „runterkochen“. Ob der angebliche Skandal um die bayerische Parteikasse oder der baden-württembergische Streit, ob Grüne für Müllverbrennung sein dürften — kein Flügel zeigt Neigung, die Konflikte zuzuspitzen. Selbst in Hamburg streiten die Kontrahenten inzwischen leiser. Die hessischen Realos loben gar den eher linken Bundesvorstand für seine Bemühungen, innerhalb der unzulänglichen Parteistrukturen die Grünen wieder handlungsfähig zu machen. „Schonpolitik“ nennt es Renate Damus.

In der Wahlkampfplanung schlägt sich das nieder. Die Flügelexponenten haben sich einbinden lassen; bei der Wahlkampf-Abschlußveranstaltung in Frankfurt am 25.11. werden Jutta Ditfurth und Joschka Fischer gemeinsam auf einem Podium sitzen. Die Differenzen blieben bestehen, doch zumindest werde nicht mehr gegenseitig bezweifelt, daß das Gegenüber noch einen Platz in der Partei habe, beschreibt Frau Damus den „Reifungsprozeß“.

Kritik wird derzeit nur indirekt oder hinter vorgehaltener Hand geäußert. Die zielt vor allem auf die Kampagne gegen die drohende Klimakatastrophe; vom Parteivolk zum Schwerpunkt des Wahlkampfes erkoren. Für manche ist die Aktion, deren Mittelpunkt ein „Klimazug“ durch die gesamtdeutsche Republik darstellt, inzwischen unter die Räder der Entwicklung geraten. Vom Bundesvorstand fehle die Unterstützung, monieren die Aktivisten, die sich vor Wochenfrist mit einem go-in in der Bonner Bundesgeschäftsstelle Luft machten. Die Baden-Württembergische Sprecherin Heide Rühle, die den gemäßigten Realos zugerechnet wird, macht keinen Hehl aus ihrer Befürchtung, mit der Klimakampagne würden die Grünen zur Ein- Punkte-Partei eingeschnürt. Man habe „zu spät gemerkt“, daß die Klimakampagne mit dem Versuch, Ökologie gegen deutsche Einheit zu setzen, thematisch „zu schmal war“. „Albern“ sei die für Ende November (!) geplante Baumpflanzaktion.

Die Grünen würden in der Öffentlichkeit kaum noch wahrgenommen, will nicht nur Vorstandssprecher Hans-Christian Ströbele festgestellt haben. Die Forderung, den Wahlkampf „nicht weiter so hinläppern zu lassen“, sondern mit einem von ihm durchgesetzten 10-Punkte-Sofortprogramm zu aktuellen politischen Fragen „Flagge zu zeigen“, bedeutet ebenfalls Kritik am Klima-Schwerpunkt. Für ausreichend hält das kaum einer. Für Heide Rühle ist das Sofortprogramm nur ein „Produkt der Hilflosigkeit“, weil es lediglich den bekannten „grünen Bauchladen“ beinhalte. Sie wünscht sich eine thematische Zuspitzung, bei der die Rolle der Grünen als „die“ Oppositionspartei deutlich werde. Diese Kraft aber, so glaubt Joschka Fischer, habe die Partei derzeit nicht, und neue Mehrheiten und rot-grüne Optionen sind derzeit kein Thema. Manches verschenkt die Partei selbst: es fällt auf, daß im Wahlkampf das neue „Umbauprogramm“ der Grünen, mit der SPD- Fortschritt90 gekontert werden könnte, überhaupt nicht benutzt wird. Mit anderen Themen soll besonders ein Abbröckeln der linken Wählerstimmen durch die Konkurrenz von Linker Liste/PDS verhindert werden. Nach einer in den Führungsgremien wochenlang spürbaren Lähmung über die Übertrittswelle ist die Sorge, die PDS werde den Grünen die Proteststimmen der Republik abziehen, geringer geworden. Auch der PDS-Finanzskandal hat dazu beigetragen, daß den Grünen vor der „Uraltpartei“ (Damus) weniger bange ist. Doch die Herausforderung bleibt für Bundesgeschäftsführer Walde bestehen: die Grünen müßten ihre Kompetenz auch in anderen Fragestellungen als der Klimakampagne betonen und besonders die soziale Frage nicht der PDS überlassen. Für Manon Tuckfeld, Vorstandsbeisitzerin und Radikal-Ökologin, die vor allem einen klaren Gegenkurs zum „nationalen Geschwätz“ fordert, wird nicht entschieden genug um linke Stimmen gekämpft. Die Grünen „reißen keinen vom Hocker“ und haben die „Traute verloren“ für radikale Positionen. Für die hessische Vorstandsbeisitzerin Maria Heider ist der Versuch, links Stimmen zu halten, überflüssig. Wer die Linke Liste/PDS wählen wolle, habe sich längst entschieden. Damit sollen nur die Grünen selber auf linken Kurs gehalten werden, wird im Realo-Lager gemutmaßt. Maria Heider fordert, die Partei solle endlich die ihr von der Bevölkerung zugemessene ökologische Kompetenz ernst nehmen. Auch der ehemalige Vorstandssprecher und „Aufbruch“-Exponent Ralf Fücks spricht von einem „unsinnigen Wettlauf“ mit dem „Nostalgie- Projekt“ PDS nach dem Motto „Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist der linkeste im Land?“. In der Deutschlandpolitik völlig abgemeldet, bleibe den Grünen nichts anderes übrig, als die ökologische Krise zu artikulieren. Er moniert zugleich schwere Wahlkampffehler. Die Partei habe in der Debatte um den Paragraphen 218 versagt, weil mit dem Beharren auf „radikaler Propaganda“ ein „realpolitisches Einmischen“ in die Diskussion um Lösungskonzepte verhindert wurde. Die grüne Entmilitarisierungs-Kampagne laufe in die Leere, weil der „Gestus von 1914“ nicht der Stimmungslage der Bevölkerung entspreche und nicht eingebunden sei in eine Debatte über die künftige europäische Friedensordnung. Dabei böte die Irak-Krise im Wahlkampf die Chance, den „Brückenschlag“ zwischen verschwenderischem Lebensstil, Klimakatastrophe und militärischer Aufrüstung zu schlagen, kritisiert Fücks.

Trotz optimistischer Wahlprognosen bis zehn Prozent für die Grünen sind die Erwartungen gedämpft — eine Nachwirkung der bayerischen Landtagswahl, als die Partei trotz ähnlich guter Voraussagen verlor und nur magere 6,4 Prozent einfuhr. An einem Einzug ins gesamtdeutsche Parlament aber zweifelt kaum einer. Proteststimmen gegen Kohl, die sichtbare Resignation der SPD und die PDS-Desillusionierung werden trotz der dünnen Vorstellung der Grünen ausreichen, glaubt etwa Ralf Fücks. Die Hessen-Realos Joschka Fischer und Hubert Kleinert warnen dagegen: für eine „sorglose Haltung gibt es keinerlei Veranlassung“. Wenn das „lethargische Grundklima“ nicht aufgebrochen werde, könne es ein böses Erwachen geben und die Grünen außen vor bleiben. Sie werfen der Partei vor, sie rede sich die Realität „schön“.

Sorgen macht sich auch Bundesgeschäftsführer Walde. Er hält es inzwischen für „politisch falsch“, daß die Partei formal erst nach der Wahl mit den DDR-Grünen fusioniert, weil man es anders als die Alt-Parteien machen wollte. Nun aber müssen die Grünen/Bündnis 90 im Osten und Westen der Republik jeweils über 5 Prozent kommen, wollen sie beide im Parlament vertreten sein: bleibt einer darunter, gehen diese Stimmen in Gänze verloren.

Man kann dies als symptomatisch ansehen. Denn die Ost-Partner vom Bündnis 90 sind den Grünen immer noch fremd geblieben. Eine Zusammenarbeit funktioniert nur mäßig. Das zentrale Wahlkampfbüro in Ost- Berlin sei „schlichtweg unfähig“, ist Bundesvorständler Jürgen Maier überzeugt. Informationsmaterial wird von jedem Partner separat gedruckt und verteilt. Geeinigt hat man sich lediglich auf einen Wahlspruch „mehr Farben braucht das Land“. Doch die West-Grünen verwenden lieber den Slogan „Ohne uns wird alles schwarz-rot-gold“, während die Ostler „Mehr als schwarz-rot-gold“ bevorzugen. Daß man einen getrennten Wahlkampf macht, ist nicht nur Manon Tuckfeld „nicht unrecht“: Plakate mit einem Bekenntnis zu Marktwirtschaft und deutscher Einheit wolle sie nicht kleben. Maria Heider nennt das schofelige Verhalten der Westler einen „Skandal“. Mit der Bitte aus der Ex-DDR, mit einem (!) wahlkampferfahreren West-Grünen auszuhelfen, tat sich der Bundesvorstand schwer. Die Bitte sei „unverständlich“, weil die DDR- Partner doch noch die bezahlten und unbeschäftigten Mitarbeiter aus der ehemaligen Volkskammerfraktion hätten, vertritt etwa Eberhard Walde. Das Bild rundet ab, daß auch keine/r der Grünen Prominenten Jutta Ditfurth, Hans-Christian Ströbele und Joschka Fischer in der DDR Wahlkampf machen.

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