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Beugehaft für Aussageverweigerung

München (taz) — Seit vergangenen Dienstag sitzen zwei junge Münchner Frauen in der Frauenstrafanstalt Neudeck. „Beugehaft“ nennt sich diese Form der Verhaftung. Mit dieser Methode will die Polizei von den beiden eine Aussage erzwingen. Grund: Im Mai vergangenen Jahres wurden Iris H. und Petra W. von einer Polizeistreife nachts festgenommen. Sie sollen mit zwei „unbekannten Tätern“, so die Ermittlungsrichterin, auf eine Friedhofsmauer Parolen gesprüht haben. Sachschaden: 200 Mark. In einem anschließenden Strafverfahren wurden die beiden Frauen zu Geldstrafen von 400 Mark und 600 Mark — einer der Frauen wurde zusätzlich Widerstand gegen die Staatsgewalt vorgeworfen — verurteilt. Nachdem die Frauen ihre Strafe bezahlt hatten, glaubten sie, der Fall sei damit erledigt. Jedoch weit gefehlt. Justitia konnte nicht ruhen. Im Januar dieses Jahres wurden die beiden plötzlich als Zeuginnen vorgeladen. Ermittelt wurde jetzt „gegen unbekannt wegen Sachbeschädigung“. Von den beiden Frauen wurde erwartet, daß sie die imaginären Täter benennen können. Für ihre Aussageverweigerung erhielten sie zunächst eine Geldstrafe von jeweils 200 Mark aufgebrummt. Nach acht Wochen begann das Spiel von Neuem. Diesmal stellte ihnen die Ermittlungsrichterin ein Ultimatum: Entweder nennen die Frauen die vermeintliche Person, oder sie fordern sie auf sich zu stellen, ansonsten drohen ihnen vier Tage Beugehaft. Eine Beschwerde gegen diese Erzwingungshaft wurde vom Landgericht zurückgewiesen. „Die Verhängung einer Beugehaft erscheint auch im konkreten Fall nicht als unverhältnismäßig“, begründeten die bayerischen Richter an der 19. Strafkammer des Landgerichts München I ihren Urteilsspruch. Obwohl sie gleichzeitig zugeben mußten, daß bei einem Sachschaden von „lediglich 200 Mark von einer unbedeutenden Strafsache auszugehen sein dürfte“. Gleichzeitig rechtfertigten sie sich jedoch mit der Behauptung, „daß angesichts der überhandnehmenden Schmierereien an Gebäuden, Mauern u. ä. ein erhebliches öffentliches Interesse daran besteht, die Täter solcher oft nur äußerst schwierig aufzuklärender Vergehen zu überführen“. Für die betroffenen Frauen endete damit der Rechtsweg im Knast.

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