: Die Nacht, in der die Mauer fiel
■ Berlins Bürgermeister Momper will von der Maueröffnung vorher gewußt haben Stasi-Offiziere öffneten den Schlagbaum Bornholmer Straße entgegen der Anweisung
Berlin (taz) — Ein Jahr nach der Öffnung der Berliner Mauer am Abend des 9. Novembers 1989 ist der Streit darüber, ob es sich letztlich um einen Irrtum gehandelt hat, noch nicht beendet. Gestern morgen überraschte der Berliner Regierende Bürgermeister Walter Momper mit der Nachricht, er habe den ersten Hinweis darauf, daß die Maueröffnung unmittelbar bevorstehe, am 9. November morgens von einer Person bekommen. Verkehrssenator Horst Wagner (SPD) habe die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) angerufen: Die sollten die Smog-Alarmpläne für den Nachtverkehr bereithalten. „Folgsam wie sie ist“, sei die BVG deshalb vorbereitet gewesen, nur deshalb habe über Nacht der Betrieb aufrechterhalten werden können.
Bodo Jendriny von der „Hauptabteilung Verkehr/Oberfläche“ der BGV („Ich war der Verantwortliche für den Smog“) kann diese Geschichte aber nicht bestätigen. Er erinnert sich noch genau, daß er an jenem 9. November 1989 mit Besuch zu Hause gesessen hat, und nicht alarmiert wurde. Das hätte geschehen müssen, wenn die für den Smogfall bereitgehaltenen Busse hätten mobilisiert werden sollen. Auch ein Blick ins Smogbuch bestätigte dem BVG-Mann: „Da war nix.“ Erst abends kurz vor zehn Uhr, längst hatten die Fernsehkameras die Bilder von den an den Grenzübergangsstellen drängenden Menschenmassen verbreitet, hat Momper mit dem BVG-Chef die Mobilisierung der verfügbaren Busse besprochen.
Am 9. November tagsüber hatte Egon Krenz während der ZK-Krisensitzung eine neue Fassung des „Beschlusses zur Veränderung der Situation der ständigen Ausreise von DDR-BürgerInnen nach der BRD über die CSSR“ zur Genehmigung vorgelegt. Vier Mitarbeiter des Innenministeriums und der Staatssicherheit, die am 9. November in den Morgenstunden vom Politbüro den Auftrag zur Formulierung des Ausreiseteiles des Reisegesetzentwurfes erhielten, setzten ohne Anweisung von oben den Passus über „Privatreisen“ in den Text. Danach konnte nicht nur jeder ausreisewillige DDR- Bürger „ohne Vorliegen von Voraussetzungen“ über die deutsch- deutsche Grenzen reisen, sondern auch jeder andere Bürger. Das SED- Politbüromitglied Siegfried Lorenz sagt heute: „Keiner im Zentralkomitee hat den Beschluß wirklich in seinen Auswirkungen begriffen.“
Erst am Freitag, dem 10. November, sollte die Verordnung in Kraft treten. Doch Krenz wollte die DDR- Bürger offensichtlich schon am Tag zuvor auf die neuen Freiheiten einstimmen und beauftragte Schabowski, am Abend auf der internationalen Pressekonferenz den Beschluß mit „zu verkaufen“. Das sei „doch eine Bombe“, soll der Staatschef seinem Mitstreiter erklärt haben.
Nach einem Bericht des Spiegel-TV hatten die beiden befehlshabenden Stasi-Offiziere am Grenzübergang Bornholmer Straße, der den Stadtbezirk Prenzlauer Berg und Wedding verbindet, nach mehrmaligen Meldungen, die Grenze sei gegen die drängende Menge nicht mehr zu halten, die Anweisung bekommen: Nur diejenigen hinauslassen, die am stärksten drängen. Der Paß sollte durch einen Stempel auf das Paßbild entwertet werden, keiner von ihnen hätte in die DDR wieder einreisen dürfen. Das wußten die DDR-BürgerInnen, die nach ein paar Schritten im Westen immer wieder „wahnsinnig“ sagten und ihre Personalausweise den West-Kameras entgegenhielten, nicht.
Entgegen den Anweisungen von oben haben die Stasi-Offiziere dann die Grenze doch vollständig geöffnet und die hinausströmenden Menschen auch wieder zurückgelassen. Erst als die Nachricht von der Öffnung der Mauer an der Bornholmer Straße sich verbreitete, öffneten auch die Grenztruppen an anderen Übergangsstellen die Schlagbäume. K.W.
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