: Fieberoper
■ Bruno Schulz' „Zimtläden“ / Gastspiel des poln.-dt. Kreaturen-Theaters“
hierhin bitte die
Kostümierten
Gelobt sei das Theater des Gerümpels, des Plunderprunks und der Erinnerung, ein Theater, was Dachböden voller längst Gewesenem verbrennt, ein Kraftwerk der Gefühle also. Bruno Schulz, zwergenhafter jüdischer Zeichenlehrer, 1942 von dem SS- Mann Günther auf offener Straße erschossen, hat in seinen Erzählungen „Die Zimtläden“ sein galizisches Heimatschtetl Drohobycz, verschollen am Nordostrand des k.u.k-Imperiums — nein, doch bloß darin die Krokodilsgasse mit den Zimtläden, und eigentlich bloß die elterliche Wohnung dort hat also Schulz verwandelt: in ein wucherndes, wuseliges Imperium kindlicher, immerbedrohter Bilderzauberei. Und Andrej Woron hat, für sein in Berlin beheimatetes polnisch- deutsches Kreaturentheater, ein herzwürgend schönes Stück daraus gemacht, zu sehen gewesen am Donnerstag im Schlachthof.
Da steht der gereifte Herr
Schulz, und um ihn, neben, hinter ihm fällt das Personal der Fotografien, in denen er blättert, aus eingestaubter Dornröschen- Starre und ruckelt mit den Gliedern. Und allein, wie die Dinge nun schnaufend in Gang kommen, ist wunderbar gemacht, mit der Dramaturgie eines kaputten Zahnradgetriebes: Gestalten rempeln einander, eins greift eckig ins andere, dieser brüllt, jene drei fuchteln, alles ist Reiz und unbegreifliche Kettenreaktion zugleich; in der Mitte das Kind Bruno.
Und man peinigt uns nicht mit dieser blödsinnigen Armes- Fröschchen-Perspektive von, wie es heißt, unten; wir sehen nicht, wie es war, nämlich immer riesig und furchtbar; wir sehen, was ein 40-jähriger will und sehnt und fürchtet, daß gewesen ist. Wir sehen es verwandelt, erlebt und vergessen: die Bühne ist ein Haufen zerrupften, bunten Trödels, ein verlottertes Reich aus Pappmaché
und Staub und Dreck, voller durchgedrehter Majestäten. Vater, Mutter, Onkel, Tanten, lauter Strotze mit herkulischer Gestik, dazu Puppen, Phantome, alle brüllen, glotzen, stampfen, lachen zu reißender Musik. Es herrscht die Exaltation einer Fieberoper und dennoch eine große Stille: in jedem Bild, in jeder lärmigen Maskerade ist allerfeinste Zartheit verpuppt.
Ein Stück und eine Sorte Theater von weither, aus galizischen und sonstigen Provinzen des Gewesenen, aus einer Zeit, wo, in der ersten Welle der Verstädterung, mit groteskem Gezappel das Dorf ersoff. Daß ein Theater, angesichts dieser Katastrophe, menschenbildmäßig den dankbaren, erlöserischen Kreaturengewuselstandpunkt einnimmt, macht es für uns Untergeher, per Verrührung in allgemeines Los, erst recht und erschütterndermaßen heilkräftig. Manfred Dworschak
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen